Der gelungene Abdruck Teil 1:

Janine Multhaupt
Janine Multhaupt

Weichgewebsmanagement mit Gingivaretraktion

In der allgemeinen zahnärztlichen Praxis gehört sie zum Tagesgeschäft: Die „Präp.“ – häufig so abgekürzt, erfordert die Präparation für den behandelnden Zahnarzt, das Assistenz-Team sowie das Zahnlabor viel Erfahrung und klinisches Know-how, da diese für den Patienten einen invasiven zahnmedizinischen Eingriff bedeutet. Der Patient bekommt sein verbliebenes Zahnmaterial zu einem Stumpf beschliffen und erhält am Ende der Behandlung eine indirekte prothetische Restauration. Damit der Patient diesen Zahnersatz nicht als solchen wahrnimmt, gibt es bei der sich an die Präparation anschließenden Abdrucknahme einiges zu beachten.

Ist der Zahn präpariert, wird die Abdrucknahme vorbereitet. Voraussetzung für einen gelungenen Abdruck ist ein erfolgreiches Weichgewebsmanagement. Der Zahnstumpf muss so abgeformt werden, dass man den Bereich zwischen unberührter und beschliffener Zahnhartsubstanz exakt darstellen kann und dieser sich im Abdruckmaterial deutlich zeigt. Doch das ist nicht immer so leicht.

Um die Präparationsgrenze darzustellen, muss der Sulkus temporär eröffnet und das Gewebe vertikal und horizontal verdrängt werden. Dazu eignen sich mechanische, chemische oder chirurgische Maßnahmen, die gegebenenfalls auch kombiniert werden können 1. Dadurch wird sichergestellt, dass das Abdruckmaterial bei der Präzisionsabformung in diesen Bereich ausfließen und ihn darstellen kann. Die Aufdehnung der Weichgewebsmanschette ist notwendig, da das Abdruckmaterial eine gewisse Schichtstärke braucht, um bei der Entnahme stabil zu bleiben und nicht zu deformieren oder auszureißen. Gleichzeitig erreicht man die Trockenlegung des abzuformenden Gebietes. Diese ist erforderlich, da elastomere Abdruckmaterialien hydrophob sind, das heißt, dass Sulkusflüssigkeit, Speichel und/oder Blut eine detaillierte Wiedergabe behindern würden.

Die erste Entscheidung, die getroffen werden muss, ist die, ob sofort nach dem Beschleifen abgeformt werden soll oder erst einige Zeit später. Bei dieser Entscheidung ist zu beachten, dass bei einer sofortigen Abformung die Blutung, die durch die präparationsbedingte Verletzung der Gingiva verursacht wurde, gestillt werden muss. Sollte die Traumatisierung des Gewebes keine ausreichende Trockenlegung erlauben, sollte ein neuer Termin nach frühestens einer Woche vereinbart werden. Es ist dabei wichtig, dass mindestens eine Woche abgewartet wird, da das Granulationsgewebe, welches nach dem Trauma während der Heilung gebildet wird, stark durchblutet ist und erst nach etwa sieben Tagen wieder natürlich, also ohne übertriebene Blutung, auf Retraktionsmaßnahmen reagiert.

Die Blutungsfreiheit der Gingiva während des Abformprozesses ist unter anderem von diesen Faktoren abhängig:

  • gesundes gingivales Weichgewebe
  • gute Passung der Interimsversorgung
  • gründliches Entfernen von Resten des provisorischen Zements
  • gute häusliche Mundhygiene
  • vorsichtiges Legen des Retraktionsfadens 2

Die Verwendung von Retraktionsfäden zur temporären Gingivaverdrängung wurde bereits 1951 von Thompson beschrieben. Damals wurde ein befeuchteter Baumwollfaden ohne Zusatz chemischer Substanzen verwendet und war somit eine rein mechanische Methode der Gingiva- retraktion. Heutzutage werden fast immer chemische Zusatzstoffe benutzt, um die Effizienz des Fadens zu erhöhen. Man spricht daher von einer chemo-mechanischen Technik. Bevor mit dem Einbringen des Fadens begonnen wird, empfiehlt es sich, zur Trockenlegung am präparierten Pfeiler eine kleine Menge Anästhesiemittel zu injizieren. Das darin enthaltene Adrenalin (Vasokonstriktor) bewirkt eine lokale Blutleere und Schrumpfung im Gingivasaum. Das Gewebe wird ischämisch und blutet nicht mehr. Diese Behandlung darf nicht von der zahnmedizinischen Assistenz durchgeführt werden, sondern allein von einem approbierten Zahnarzt. Auch die Auswahl des geeigneten Hämostyptikums zur Blutstillung wird vom Behandler unter Berücksichtigung des parodontalen und physischen Gesundheitszustands getroffen.

Bei stärker blutendem Zahnfleisch kann mit einer weiteren chemischen Methode zur Blutstillung gearbeitet werden, den Adstringenzien wie Alaun (Kaliumaluminiumsulfat), Aluminiumsulfat, Aluminiumchlorid (zum Beispiel Viscostat clear von Ultradent) oder Eisensulfat. Diese Metallverbindungen bewirken einen Verschluss der verletzten, geöffneten Kapillaren. Anders als zum Beispiel bei der Anwendung von Vasokonstringentien wie Adrenalin sind hierbei keine systemischen Nebenwirkungen bekannt. Die kapillare Blutung im Sulkus wird durch die vasokonstriktorische (gefäßverengende) Wirkung und Ausfällung (Verklumpung) von Gewebeproteinen sowie einer Gewebekontraktion erreicht. Beim weiteren Vorgehen muss darauf geachtet werden, dass die entstandenen Koagula weggespült werden, da sie den Abdruck ver- fälschen würden. Auch sollten Hilfsmittel, die Aluminiumverbindungen enthalten, immer sehr gründlich abgespült werden, da sie die Aushärtereaktion von Polyethern inhibieren können. Abhängig vom parodontalen Zustand kann es sinnvoll sein, Hämostyptika zu kombinieren. Eine erste Blutstillung kann etwa mit Eisensulfat mit anschließender Insertion von mit Aluminiumsulfat getränkten Fäden erfolgen. Aluminiumsulfat (zum Beispiel ORBAT sensitive von lege artis) ist ein mildes Adstringens, das am wenigsten irritierend auf das Gewebe wirkt.3, 4, 5

Produkte, die auf Eisensulfatgel basieren, sind schonend zu Hart- und Weichgewebe. Viscostat von Ultradent ist ein 20%-iges Eisensulfatgel, das in das Gewebe eindringt und für eine sofortige Hämostase sorgt. Daher ist es sehr wichtig, dass das Gel in das Gewebe eingearbeitet wird und nicht nur am Gingivarand appliziert wird. Erst durch das Einreiben kann der Wirkstoff in die Kapillaröffnungen eindringen und durch die Erzeugung von Mikro-Koagula die Blutstillung im Gewebe hervorrufen. Hierzu gibt es bürstenähnliche Aufsätze, mit denen das Gel appliziert werden kann. Der Erfolg der Blutstillung kann überprüft werden, indem das Produkt mit Wasserspray abgespült wird. Entsteht keine erneute Blutung, so war die Anwendung erfolgreich. Steigt wieder Blut aus dem Sulkus hervor, kann der Vorgang zwei bis drei Mal wiederholt werden. Es sollte durch die Provokation mittels Wasserspray keine weitere Blutung mehr ausgelöst werden können. Die optimale Kontaktzeit liegt bei ein bis drei Minuten, die Höchstverweildauer bei bis zu 20 Minuten.

Gerade bei Verwendung im Frontzahnbereich sollte der Patient darauf hingewiesen werden, dass es zu einer leichten bräunlichen Verfärbung im Gewebe kommen kann, die nach etwa zwei Tagen wieder verblasst. Keinesfalls sollte Eisensulfat in Kombination mit Adrenalin angewendet werden, da es dabei zu einer massiven blau-schwarzen Verfärbung im Gewebe kommen kann.

Alle Maßnahmen, die im Rahmen des Weichgewebsmanagements getätigt werden, haben invasive Folgen für das Weichgewebe. Doch die Verletzungen sind reversibel. Das Saumepithel ist im Vergleich zu den anderen oralen Epithelien normalerweise sehr regenerationsfähig.6 Bereits nach etwa fünf Tagen hat ein erneutes Reattachment stattgefunden. Dennoch kann es auch durch das Legen von Retraktionsfäden zu bleibenden Schädigungen wie Rezessionen von bis zu 0,2 mm 7 kommen.

Die Technik nach Labban 8 besagt, dass der Faden erst an der oralen Seite in den Sulkus einzubringen ist und erst ganz zum Schluss ist am vestibulären Sulkusanteil weiter zu arbeiten. Dieses Vorgehen verringert die Verweildauer im vestibulären und damit ästhetisch relevanten Bereich und kann der Entstehung von Rezessionen entgegen wirken. Die Läsion des Weichgewebes ist abhängig von folgenden Faktoren: der Liegedauer des Fadens im Sulkus, der Krafteinwirkung beim Einbringen und damit einhergehender möglicher Verletzung der Sharpeyschen Fasern sowie der Wahl des blutstillenden Medikaments und dessen gewebeschädigenden Eigenschaften.

In unserer Praxis wird ausschließlich mit Ultrapak-Fäden von Ultradent gearbeitet. Diese Fäden sind schlauchförmig geflochten und lassen sich besonders gut am Zahn adaptieren. Durch ihr großes Volumen üben sie Druck auf die Gingivamanschette aus und ermöglichen so eine optimale Retraktion im Sulkus.

Es gibt zwei Methoden beim Legen von Retraktionsfäden: die Einfaden- und die Doppelfadentechnik. Letztere gilt als Gold-Standard 9, die in unserer Praxis fast ausschließlich angewendet wird. Das Einbringen von Retraktionsfäden erfordert viel Erfahrung und technisches Verständnis.10

Zum Legen von Retraktionsfäden eignen sich spezielle Legeinstrumente oder auch ein Heidemannspatel. In einigen Situationen macht es auch Sinn, beide Instrumente zu kombinieren. Gerade die vestibulären Anteile des Fadens lassen sich oft besser mit einem Heidemann in den Sulkus einbringen als mit einem Fadenleger. Der Fadenleger von Ultradent hat eine abgerundete und flache Instrumentenspitze, die verzahnte Anteile besitzt. Diese helfen, den Faden an Ort und Stelle zu halten und ihn ohne Verletzung des gingivalen Attachments einzubringen. Das Instrument sinkt in den Faden ein und kann aufgrund der Verzahnung nicht abrutschen. So ermöglicht es ein sicheres Arbeiten.

Primär wird ein dünner, getränkter Faden (#000) zirkulär um den präparierten Zahn gelegt. Dieser Unterfaden dient der vertikalen Verdrängung und sorgt dafür, dass keine Sulkusflüssigkeit austritt. Außerdem stabilisiert er die Weichgewebsmanschette. Der Unterfaden muss zwingend unterhalb der epi- oder subgingivalen Präparationsgrenze appliziert werden. Beim Legen des Fadens ist darauf zu achten, dass er vorsichtig und ohne viel Druck eingebracht wird, um Weichgewebsschäden am empfindlichen Faserapparat zu vermeiden.

Ist der Faden eingebracht, so ist es erforderlich, ihn passend zu beschneiden. Ein zu kurzer Faden kann dazu führen, dass die Präparationsgrenze nicht vollständig dargestellt werden kann und ein zu langer Faden, dass er mit der Abformmasse verbäckt und ebenfalls das Abformergebnis negativ beeinflusst. Idealerweise hat dieser Faden auch eine dunkle Farbe, damit er gut vom umgebenen Gewebe unterschieden werden kann.

Der Primärfaden verbleibt während der Abformung im Sulkus. Darüber wird der Sekundärfaden eingelegt. Dieser sollte deutlich größer sein und wird oberhalb des Unterfadens platziert. Eine grobe Größenabschätzung kann man dieser Empfehlung der Firma Ultradent entnehmen: Größe 0 für den anterioren Bereich, Größe 1 ebenfalls für den Frontzahnbereich oder die Prämolaren, Größe 2 und 3 für die Molaren oder bei ungünstigen parodontalen Voraussetzungen.

Mit diesem zweiten Faden wird die laterale Aufdehnung der Weichgewebsmanschette erzielt. Insgesamt bleiben die Fäden bis zu fünf Minu- ten im Sulkus. Direkt vor dem Umspritzen mit der Korrekturmasse wird der obere Faden entfernt. Der untere Faden verbleibt während des Abdrucks als „Dichtung“ im Sulkus.

Nach der Abdrucknahme muss unbedingt daran gedacht werden, den Unterfaden zu entfernen. Verbleibt dieser im Sulkus, kann eine schwere Entzündung die Folge sein. Also ist unbedingt sicherzustellen, dass der Faden entfernt wird. Gewebeschonend ist es, den Faden vor dem Herausnehmen zu befeuchten. Ähnlich wie die Watterolle, die in der Wange mit der Schleimhaut verklebt, kann auch der Faden so viel Feuchtigkeit aus dem Sulkus ziehen, was ja auch gewollt ist, dass eine Verklebung entsteht. Entfernt man nun den Faden ohne Befeuchtung, so schädigt man das Gewebe zusätzlich. Damit sich das Zahnfleisch schneller beruhigt, empfehlen wir dem Patienten gerne, für ein paar Tage mit CHX Gel zu putzen.


Tipp: Abrechnungsempfehlungen hierzu, von der Abrechnungsexpertin Jana Brandt, findet ihr hier.


Literatur:

Donovan & Chee, 2004 / Livaditis, 1998 / Harrison, 1961 / Löe und Silness 1963, / Weir und Williams 1984 / Gehrcke et al. 2014 / Ruel et al., 1980 / Labban 2011 / Tosches, Salvi, 2009 / Poss, 2002

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