Seit einigen Jahren rückt aber ein neues Thema in den Blickpunkt der Forschung: das orale Mikrobiom. Die Erkenntnis, dass unsere Mundgesundheit eng mit dem oralen Mikrobiom verflochten ist, etabliert sich Zusehens. Die neuen Erkenntnisse führen auch dazu, bestimmte Thera- pieformen und Maßnahmen kritischer zu beurteilen oder aber neue zu empfehlen.
Das Mikrobiom selbst ist ein äußerst komplexes und ebenso lebensnotwendiges Ökosystem und bezeichnet alle auf unseren Häuten und Schleimhäuten angesiedelten Mikroben. Also Bakterien, Pilze, Viren, Archaebakterien und Protozoen, samt Ausscheidungsprodukten. Der Darm als Schleimhaut zeigt dabei die größte Bakteriendichte auf, eng gefolgt vom Mikrobiom der Mundhöhle.
In der Mundhöhle selbst überziehen die Mikroben die gesamte orale Mukosa und die Zahnoberflächen. Der Zunge kommt dabei auch auf- grund Ihrer besonderen Morphologie mit ihren tiefen Krypten eine ganz besondere Rolle als Rückzugsreservoir zu. Deshalb befinden sich auf der Zunge auch circa 60 bis 70 Prozent des oralen Bakterienreservoirs. Aktuell betrachtet man lokale Erkrankungen wie Karies oder Parodontitis oft als „lokale Ereignisse am Symptomort“ und entsprechend leitet man auch örtlich fokussierte Maßnahmen ab. Die biologisch-physiologischen Zusammenhänge werden dabei nicht oder nicht immer einbezogen.
Genau hier setzt aber die neue Denkweise an. Alle Häute und Schleimhäute sind eng miteinander verknüpft. Sie sind immunologisch mitein- ander vernetzt, kommunizieren und interagieren. Sie sind funktionell verbunden.
Deshalb überrascht es wenig, dass Wechselbeziehungen zwischen Parodontitis und systemischen Erkrankungen wie zum Beispiel Adiposi- tas, Typ-2-Diabetes oder kardiovaskuläre Erkrankungen nachgewiesen werden können. Orale Mikroben werden verschluckt und können somit das Intestinum kolonisieren, dort die Darmmikrobiota verändern und dadurch auch das Immunsystem beeinflussen und sogar Krankheiten initiieren oder deren Verlauf modellieren.
Alte Traditionen und neue Methoden
Zwar steckt die Forschung noch in den Kinderschuhen, aber sie entwickelt sich dynamisch, auch weil neue Methoden zur Analyse und Beurteilung des Mikrobioms zur Verfügung stehen. So eröffnet zum Beispiel „Gene Sequencing“ neue Möglichkeiten. Es ist erst seit wenigen Jahren überhaupt möglich, alle Bakteriengene, die sich im Speichel eines Menschen befinden, zu sequenzieren und damit wertvolle Informationen zu erhalten. Aber auch ultrastrukturelle Untersuchungen des Biofilms wie fluoreszenzmikroskopische Verfahren oder „FISH – Fluoreszenz-in- situ-Hybridisierung“ sind relativ neu und sehr hilfreich bei der weiteren Forschung.
Die Forschung wird sich in den nächsten Jahren dynamisch entwickeln und neue Erkenntnisse hervorbringen, die Einfluss auf unser tägliches Handeln haben werden. Auch oder gerade bei der Karies und Parodontitistherapie. Aber auch ohne einen endgültigen Beweis für neue Therapieformen kann man trotzdem seine Denkweise ändern und heute tätig werden.
Gesund ernähren und die Zunge professionell reinigen!
Manchmal hilft es dabei zu schauen, was alte Kulturen an Traditionen etabliert haben. Man kann sich aber auch auf einfache Grundsätze des medizinischen Handels stützen.
„Primum non nocere, secundum cavere, tertium sanare” (deutsch: „erstens nicht schaden, zweitens vorsichtig sein, drittens heilen“).
Laut dieser antiken Regel soll der Arzt in seinem Bemühen, dem Patienten zu helfen, zunächst darauf achten, ihm nicht zu schaden. Zwei- tens soll er achtgeben beziehungsweise vorsichtig sein, damit er genau schauen kann, was mit dem Patienten tatsächlich los ist. Erst dann kann er drittens die für die Heilung erforderlichen Schritte unternehmen.
Die Erkenntnisse aus der Erforschung des Mikrobioms rechtfertigen die Entwicklung eines ganzheitlichen Konzeptes zur Therapie und Prophylaxe von Karies und Parodontitis. Dabei spielt auch die Ernährung eine wichtige Rolle. Zuckerhaltige Nahrungsmittel und Getränke, Fertigprodukte, Fast Food, Süßspeisen sowie Mehlprodukte (Nudeln, Brot, Backwaren) beeinflussen den Biofilm negativ. Eine Ernährung reich an Salat, Gemüse, Hülsenfrüchten, Fleisch, Fisch, Milchprodukten, Nüssen und gesunden Fetten hingegen hat positive Effekte. Ebenso wirken Fette mit einem hohen Anteil von Omega-3-Fettsäuren antiinflammatorisch.
Die regelmäßige Zungenreinigung, also die Reinigung des größten Biofilmdepots in der Mundhöhle mit potenziell pathologischen Eigenschaften, kann ebenso bedenkenlos grundsätzlich empfohlen werden. In der ayurvedischen Lehre ist die Zungenreinigung seit jeher fester Bestandteil des täglichen Rituals.
Ebenso kann man in der Zahnarztpraxis die professionelle Zungenreinigung als Maßnahme bei allen professionellen Zahnreinigungen etablieren.
Die professionelle Zungenreinigung ist denkbar einfach und kann problemlos in den Behandlungsablauf fest integriert werden. Mit der Rückseite des Zungenreinigers kann zunächst eine Wirksubstanz in die Zunge einmassiert werden. Mit der Rückseite des Zungensaugers zum Beispiel TS1 wird dann der Biofilm aus den Tiefen bis hin zum Zungengrund abgesaugt. Hierzu muss der Zungensauger TS1 einfach auf die kleine Absaugung der Behandlungseinheit aufgesteckt werden.
Das Ergebnis: Eine maximale Disruption des Biofilms und eine Tiefenreinigung der Zunge!
Wird ein Gel wie zum Beispiel das Zungengel TS1 verwendet, hat man neben dem therapeutischen Effekt auch noch ein besonderes Frischegefühl nach Abschluss der Zahnreinigung. Der Zungensauger kann dann sogar mit einem speziell dafür entwickelten Handgriff direkt dem Patienten zur täglichen Zungenreinigung mit nach Hause gegeben werden.
Studium Dentalhygiene erweitert den Horizont
Den Blick über den Tellerrand und ein tiefes Verständnis der physiologischen und pathologischen Zusammenhänge beim Menschen werden im Studium Dentalhygiene an der Medical School 11 umfassend vermittelt. Durch das Studium sind sie gewappnet, zukünftige Entwicklungen zu beobachten, auf ihre Relevanz einzuordnen und gegebenenfalls neue Therapiekonzepte umzusetzen.
Im Oktober 2022 startet das neue Studium, das neben dem Beruf studiert werden kann.