Das verkürzte Zungen- und Lippenbändchen

Zungenbandzentrum München Stadt und Land, Dr. Melanie Linder
Désirée Voglau

Unsere Zunge hat viele wichtige Funktionen. Unter anderem für die Sprachentwicklung, die Ausformung des Gaumens und Kiefers, für eine unbeeinträchtigte Nasenatmung und eine entspannte Nacken- und Halsmuskulatur sowie beim Essen und auch für das Stillen. Die Beweglichkeit der Zunge und der Lippen sind die Voraussetzungen für all diese Eigenschaften. Im Folgenden stellt die Dentalhygienikerin Désirée Voglau einen Fallbericht ihrer kleinen Tochter vor.

Jeder von uns hat ein Zungenbändchen, das im Normalfall sehr weit hinten am Zungengrund liegt, sodass die Zunge genügend Spielraum hat. Dennoch gibt es Menschen, die ein verkürztes Zungenbändchen haben wie zum Beispiel meine kleine Tochter.

Am Tag nach ihrer Geburt haben die Probleme bereits begonnen: der Versuch, sie zu stillen, war nur unter starken Schmerzen möglich, bedingt durch wunde Mamillen (Brustwarzen). Ich war ziemlich niedergeschlagen und meine Tochter (bestimmt) auch, da sie Hunger hatte und sie keine Muttermilch bekam. Zu diesem Zeitpunkt kannten weder ich noch die Hebammen den Grund dafür. Dies frustrierte mich sehr, da ich mein Baby unbedingt stillen wollte.

Ich hörte Sätze wie „Das ist normal“, „Das wird schon werden“ – aber das war nicht normal, zumindest nicht in diesem Ausmaß, vor allem da ich bereits mein erstes Kind stillen konnte und das ohne große Probleme. Mit Abpumpen, Zufüttern und Stillen unter Schmerzen vergingen die Tage im Krankenhaus. Erst am letzten Tag kam eine Hebamme zur Visite vorbei, die auf diesem Gebiet Erfahrung hatte.

Verkürztes Zungenbändchen

Ich habe ihr meine Probleme geschildert und daraufhin hat sie sich meine Tochter genau angeschaut. Sie hat ihr den Finger in den kleinen Mund gesteckt und ein zu kurzes Zungenbändchen festgestellt. Dadurch konnte sie beim Stillen ihre Zunge nicht weit genug aus dem Mund strecken und somit auch nicht die komplette Mamille zum Saugen umschließen, sondern nur daran reiben. Folglich konnte sie nicht richtig saugen und das Reiben führte zu den blutigen Mamillen.

In der Klinik war leider kein Arzt in der Lage, das verkürzte Zungenbändchen zu entfernen. Somit wurden wir erstmal zu unserer Kinderärztin verwiesen. Dort haben wir umgehend einen Termin erhalten und konnten die Zeit bis dahin im Wechsel mit Abpumpen, Stillen (unter Schmerzen) und Zufüttern überbrücken. Unsere Kinderärztin ist eine sehr nette und kompetente Ärztin, aber leider konnte auch sie das Zungenbändchen nicht so einfach korrigieren, da es sich hierbei um das hintere (posteriore) Zungenbändchen handelte und dies nur Spezialisten kürzen sollten. Sie hat uns daraufhin eine Spezialistin aus München empfohlen. München ist von Ingolstadt zwar nicht um die Ecke, aber dennoch hatten wir Glück, was die Entfernung betrifft, wenn man bedenkt, wie wenig Spezialisten es auf diesem Gebiet aktuell gibt.

Auch dort haben wir sehr schnell einen Termin bekommen und vorab eine Mail mit vielen wichtigen Informationen zum Ablauf des Termins, der interdisziplinären Zusammenarbeit mit Körpertherapeuten, Stillberatung, einen Link für ein Video für die richtige Wundversorgung sowie die zu erwartenden Kosten erhalten. Aufgrund der Entfernung konnten wir sowohl das Aufnahmegespräch als auch die Behandlung an einem Nachmittag erledigen.

Diagnose: frenulum labii superioris breve sowie Ankyloglossia

Die Zahnärztin war sehr lieb und hat sich sehr viel Zeit für uns genommen, ein ausführliches Anamnesegespräch geführt, Fotos von unserer Tochter und deren Mundsituation erstellt und uns natürlich über die Kosten aufgeklärt sowie über das Vorgehen, die Risiken und die Wundversorgung. Die Diagnose lautete: frenulum labii superioris breve sowie Ankyloglossia. Das heißt, meine Tochter hatte ein verkürztes Lippenbändchen sowie eine Verwachsung der Zunge mit dem Mundboden, infolge eines stark verkürzten Zungenbändchens. Beides tritt häufig zusammen auf. Folglich musste eine Frenektomie sowie eine Frenotomie des Zungen- und Lippenbändchens erfolgen.

Das Ziel der Behandlung ist das Zusammenwachsen der Wunde in Längsrichtung, sodass das neu entstehende Band möglichst weit hinten ansetzt und die Zungenfunktion nicht erneut eingeschränkt wird. Für ein ideales Wundmanagement wurden uns zwei Übungen (eine für das Lippen-, die andere für das Zungenbändchen) gezeigt. Diese Demonstration durfte mein Mann auf Video festhalten, woran wir uns zuhause orientieren konnten. Die Dehnübungen sollen das Zusammenkleben der Wundränder verhindern. In den nächsten 4 bis 6 Wochen mussten wir alle 4 bis 6 Stunden diese Übungen durchführen, weswegen der Wecker mehrmals in der Nacht klingelte.

Laserbehandlung

Die Behandlung erfolgte mittels CO2-Laser, was den Vorteil hatte, dass es sehr schnell vorbei war, kaum bis gar keine Blutung aufgetreten ist, keine Naht durch die Wundversiegelung notwendig war und keine postoperativen Schmerzen/Schwellungen auftraten. Bei dieser Therapie handelt es sich um eine rein private Leistung, da die Laserbehandlung (noch nicht) in den Leistungskatalog der GKV aufgenommen worden ist. Bei der Kassenvariante wird die Behandlung konventionell chirurgisch mit dem Skalpell unter örtlicher Betäubung durchgeführt, was für uns aber keine Option war, da die Vorteile einer schnellen Laserbehandlung überwogen.

Für diesen Eingriff wurde meine Tochter gepuckt und bekam – wie alle Anwesenden – einen Augenschutz. Auf die betroffenen Stellen wurde ein Oberflächenanästhetikum appliziert und innerhalb von Sekunden wurden sowohl das Lippen- als auch das Zungenbändchen behandelt. Während der Behandlung hat meine Kleine bitterlich geweint und geschrien, da sie natürlich nicht wusste, was mit ihr geschieht. Direkt danach konnte ich sie in einem separaten Stillraum beruhigen und direkt stillen. Obwohl der Eingriff nur wenige Minuten zurücklag, war dieses erste Stillen danach bereits sehr viel angenehmer als zuvor. Mit dieser einen Behandlung war das Problem noch nicht gelöst, aber eine deutliche Verbesserung war dennoch spürbar. Zur Nachkontrolle mussten wir nicht mehr nach München in die Praxis fahren, sondern konnten wöchentlich Fotos der Wunden sowie einen kurzen Verlaufsbericht an die Zahnärztin per Mail schicken, was uns einen weiten Weg sowie eine Menge Zeit erspart hat. Innerhalb von 48 Stunden konnten wir schon mit einer Rückantwort rechnen. Uns wurde auch die Zusammenarbeit mit einem Osteopathen, einer Stillberatung sowie einem spezialisierten Logopäden dringendst empfohlen, denn für einen langfristigen Erfolg ist die interdisziplinäre Zusammenarbeit entscheidend.

Logopädie und Osteopathie

Das Zungenbändchen hat eine enge Verknüpfung zu vielen weiteren Körperstrukturen und kann somit häufig weitere Stressfaktoren für das Baby auslösen. Mithilfe einer Osteopathin konnten wir dies innerhalb eines Termins bereits ausschließen und uns auf die Stillberatung und Logopädie konzentrieren. Generell ist eine Stillberatung dazu da, die Stillbeziehung zwischen Mutter und Kind zu unterstützen beziehungsweise aufzubauen. Meine mich betreuende Hebamme kannte sich mit dieser Diagnose leider nicht aus und so musste ich mich an eine spezialisierte Hebamme wenden, die auch Hausbesuche vornahm. Mir wurden verschiedene Positionen für ein optimales Anlegen gezeigt, ich bekam etwas gegen die wunden Mamillen und durch regelmäßigen Mailaustausch wurde das Gewicht meiner Tochter kontrolliert und wir konnten das Zufüttern peu à peu reduzieren.

Weitaus aufwendiger waren die Termine bei der Logopädin. Da es auf diesem Gebiet auch nur wenig spezialisierte Logopäden gibt, mussten wir auch hier einen Weg von circa 50 Kilometern in Kauf nehmen. Durch das sogenannte myofunktionelle Training können die Funktionen von zu schwach beziehungsweise zu stark beanspruchten Muskeln wiederhergestellt werden. Die Logopädin hat uns weitere wertvolle Übungen und Tipps zur Unterstützung des Therapieerfolgs gezeigt. Wöchentlich sind wir mit unserer Tochter dorthin gefahren, dies über einen Zeitraum von acht Wochen. Nach dieser Zeit hatten wir dann endlich unser Ziel erreicht, unsere Kleine konnte optimal gestillt werden und ist heute gesund und munter.

Ein „normales“ Zungenbändchen ist wichtig

Vielen ist gar nicht bewusst, wie wichtig ein „normales“ Zungenbändchen ist. Doch wenn dies unentdeckt bleibt, kann es verschiedene Folgen haben wie zum Beispiel wunde Brustwarzen, Milchstau und sogar Wachstumsstörungen beim Kind. Aber dieser Eingriff ist nicht nur bei Säuglingen mit Stillproblemen wichtig durchzuführen, sondern generell in jedem Alter. Denn unbehandelt kann dies verschiedene Spätfolgen mit sich bringen wie Probleme bei der Sprachentwicklung, Zahnfehlstellungen oder Essstörungen. Auch bei bereits vorhandenen Einschränkungen kann eine Behandlung zur wesentlichen Verbesserung führen.

Je größer das Kind ist, desto größer ist auch der Eingriff. Eine Behandlung ohne Narkose ist dann nicht mehr möglich, da das Häutchen dicker und sogar durchblutet ist. Daher ist es vorteilhaft, diesen Eingriff so früh wie möglich, sprich in den ersten Lebenstagen oder innerhalb des ersten Lebensjahres durchführen zu lassen. Doch häufig liegt die größte Schwierigkeit darin, dass Problem frühzeitig zu erkennen und die Ursache zu beheben.

Wir hatten das Glück, dass sowohl die Hebamme in der Klinik als auch unsere Kinderärztin über das nötige Fachwissen verfügten und wir dadurch an die entsprechende Spezialistin weitergeleitet worden sind und somit unserer kleinen Tochter geholfen werden konnte.

Für die Zukunft würde ich mir wünschen, dass sich viel mehr Hebammen, Kinderärzte und vor allem auch Zahnärzte auf diesem Gebiet fortbilden beziehungsweise spezialisieren würden und somit vielen Babys und Müttern eine schöne, angenehme und wichtige Stillzeit ermöglichen können.

Indizien für verkürztes Zungenbändchen (Beispiele):

  • oft ein hoher, schmaler Gaumen
  • spezielle Zungenform: herz- oder v-förmig
  • vermehrte Schnalz- und Klicklaute beim Saugen
  • Baby schafft es nicht, über einen längeren Zeitraum zu saugen, lässt oft los, stattdessen versucht es die Brust ersatzweise mit den Lippen zu halten
  • Milch läuft vermehrt aus dem Mund heraus
  • Baby ist unruhig, quengelig und quengelig oder schläft immer wieder ein
  • häufiges, langes und erfolgloses Stillen
  • wunde, blutige Mamillen, Milchstau, Mastitis

 

 

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