Viele Patienten fragen sich derzeit, ob Zahnarztbesuche aufgrund der Covid-19 Pandemie sinnvoll sind. Unsicherheit herrscht u.a. darüber, ob Behandlungen notwendig sind oder besser verschoben werden sollten. Von zentraler Bedeutung in diesem Zusammenhang ist die Frage, ob in Zahnarztpraxen eine erhöhte Ansteckungsgefahr besteht. Experten und Bundesländer haben hierzu keine einheitliche Auffassung:
Die Landesregierung Baden-Württemberg erließ Mitte April die Regelung, Zahnarztbesuche seien nur bei akuter Erkrankung oder im Notfall zulässig. In anderen Bundesländern gilt dies nicht. Während der Präsident der hessischen Landeszahnärztekammer äußerte, niemand müsse auf geplante Behandlungen verzichten, da die Ansteckungsgefahr aus Sicht der Zahnärztekammer „sehr, sehr gering“ sei, riefen in Bayern die Landeszahnärztekammer und Kassenzahnärztliche Vereinigung (KZVB) dazu auf, „aufschiebbare Behandlungen auf die Zeit nach Ende der Schulschließung zu verschieben“.
Wenig Einheitliches und Konkretes. Woran sollen sich Patienten orientieren? Die Berliner Zahnärztin Dr. med. dent. Lan Huong Timm gibt Antworten und erklärt Zusammenhänge:
Besteht in Zahnarztpraxen erhöhte Ansteckungsgefahr?
„Grundsätzlich gilt: Sind Zahnarzt/ärztin, Praxis-Team und Patienten gesund und hat niemand das Virus eingeschleppt, besteht in der Praxis keine Ansteckungsgefahr. Bisher gibt es keinen Beleg, dass Zahnarztpraxen bei der Verbreitung des Virus eine besondere Rolle spielen. Dennoch rate ich zu besonderen Vorsichtsmaßnahmen, denn bei Zahnbehandlungen entstehen oft Aerosole“.
Was hat es mit den Aerosolen auf sich?
„Als Aerosole bezeichnet man feste oder flüssige Teile, die in der Luft schweben. Eine Art Schwebestaub oder -nebel. Da sich das Covid-19 Virus per Tröpfcheninfektion überträgt, geht man davon aus, dass z.B. bei Behandlungen mit Sprühnebelbildung Bedingungen entstehen, die eine Ansteckung und Übertragung begünstigen. Zwar gibt es bisher keine wissenschaftliche Evidenz hinsichtlich eines Zusammenhangs zwischen Covid-19-Übertragung und Aerosolen; erwiesen ist jedoch, dass Aerosole als Transportmittel für Mikroorganismen dienen und bei Menschen in die Lunge vordringen können. Deshalb tragen Zahnärzte auch immer eine Schutzmaske.“
Wenn Aerosole bedenklich sind, warum haben Zahnarztpraxen weiterhin geöffnet?
„Die zahnärztliche Versorgung ist systemrelevant. Es muss sichergestellt sein, dass Patienten bei Schmerzen oder akuten Indikationen behandelt werden können. Außerdem müssen begonnene Behandlungen fortgeführt werden.“
Bei welchen Behandlungen entstehen Aerosole?
„Leider bei vielen. Ob Aerosole entstehen oder nicht, hängt aber in erster Linie von den Werkzeugen ab, die verwendet werden bzw. bei der Behandlung notwendig sind. Kommen hochtourig rotierende Instrumente, Winkelstücke oder Pulverstrahlgeräte zum Einsatz, entstehen Aerosole. Rotierende Geräte wie Bohrer oder Fräse müssen gekühlt werden. Durch die Rotation wird die Kühlflüssigkeit aufgeworfen und bilden Aerosole. Auch Pulverstrahlgeräte, die oft bei Zahnreinigungen zum Einsatz kommen, verursachen Schwebestaub.“
Wie kann man Aerosole vermeiden?
„Beispielsweise durch Verwendung von Handwerkzeugen. Sie sind infektionstechnisch gesehen die bessere Wahl. Laserwerkzeuge sind ebenfalls eine risikoarme Alternative und bei Intraoralscans werden Aerosole beispielsweise nicht freigesetzt. Will oder kann ein Patient eine Behandlung nicht aufschieben, sollte er klären, welche Geräte zum Einsatz kommen.“
Wann soll man zum Zahnarzt gehen und wann nicht?
„Grundsätzlich gilt, Covid-19-Risikogruppen oder Menschen mit Erkältungssymptomen sollten Praxisbesuche derzeit vermeiden. Infizierte müssen in jedem Fall in eine Spezialpraxis. Für alle anderen gilt, dass man genau überlegen sollte, ob man eine Behandlung derzeit wirklich benötigt und welche Geräte hierbei zur Anwendung kommen. Bei einer Wurzelkanalbehandlung, Füllungsverlust oder Entzündungen lassen sich Zahnarztbesuche kaum vermeiden. Auch wer eine Zahnspange trägt oder Schmerzen hat, muss zur Kontrolluntersuchung. Einige Zahnärzte bieten hier allerdings schon kontaktlose, digitale Möglichkeiten an. So können Kontrollen bei Zahnschienen oder zahnärztliche
Sprechstunden digital erfolgen, ohne dass ein Patient zwingend in die Praxis muss. Wir haben beispielsweise eine weitgehend digitalisierte Zahnkorrektur-Behandlung entwickelt, die unnötige Zahnarztbesuche vermeidet.“
Was ist mit zahnkosmetischen Behandlungen oder Prophylaxe?
„Wer keine akute Parodontitis hat, kann die Zahnreinigung etwas aufschieben. Bei Zahnaufhellungen oder Zahnkorrekturen sollte man auf die Behandlungsmethoden achten. Beispielsweise sind Home Bleaching oder digitale Aligner-Behandlungen eine gute Alternative.“