Dr. Wolfgang Eßer, Vorsitzender des Vorstandes der KZBV: „Diese Entscheidung ist ein versorgungspolitischer Meilenstein auf dem Weg zu einer weiteren Verbesserung der Mundgesundheit, für den sich die Zahnärzteschaft viele Jahre lang gegen große Widerstände der Kassen eingesetzt hat. Mit den bislang im Katalog der gesetzlichen Krankenversicherung verankerten Leistungen war eine nachhaltige Versorgung der Patienten nicht mehr möglich. Die entsprechende Behandlungs-Richtlinie war völlig veraltet und berücksichtigte längst nicht mehr den Erkenntnisstand der wissenschaftlichen Forschung. Insbesondere das Fehlen einer strukturierten Nachsorge zur nachhaltigen Sicherung des therapeutisch erzielten Behandlungserfolges, stellte ein großes Manko in der Behandlungsstrecke dar.“
„Die nach wie vor hohe Parodontitislast in Deutschland zu senken, ist ein wichtiges Ziel unseres zahnmedizinischen Versorgungskonzepts. Zu Recht wird die Parodontitis als große Volkskrankheit bezeichnet, an der immer noch jeder zweite Erwachsene hierzulande leidet. Unbehandelt hat sie nicht nur schwerwiegende Folgen für die Mundgesundheit, sondern steht auch in direktem Zusammenhang mit anderen chronischen Erkrankungen wie Diabetes, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und vielen weiteren Leiden. Ich bin zuversichtlich, dass wir auf Basis der heutigen Entscheidung im G-BA schon bald deutliche Fortschritte im Kampf gegen die Parodontitis werden vorweisen können“, sagte Eßer.
Mit dem Beschluss wird die systematische Behandlung von Parodontitis auch erstmals in einer eigenen Richtlinie geregelt. Die Inhalte setzen auf der aktuellen wissenschaftlichen Klassifikation der Fachgesellschaften auf. Die Erkrankung wird jetzt mit einem umfassenden, am individuellen Bedarf ausgerichteten Maßnahmenprogramm bekämpft. So erhalten Versicherte künftig im Zusammenhang mit der eigentlichen Behandlung eine patientenindividuelle Mundhygieneunterweisung. Dazu wird als eigener Therapieschritt ein parodontologisches Aufklärungs- und Therapiegespräch verankert, um das Verständnis über die Auswirkungen der Erkrankung zu schaffen und die Mitwirkung der Versicherten zu stärken. Damit findet die „sprechende Zahnmedizin“ erstmals Eingang in die Versorgung. Beide Maßnahmen dienen dazu, die eigene Mundhygienefähigkeit und Gesundheitskompetenz zu erhöhen.
Einen bedeutenden Stellenwert hat in der neuen Behandlungsstrecke die unterstützende Parodontitistherapie (UPT). Versicherte können, ausgerichtet am individuellen Bedarf, künftig zwei Jahre nach Abschluss der aktiven Behandlungsphase eine strukturierte Nachsorge in Anspruch nehmen, um den Behandlungserfolg zu sichern. Die Nachsorge kann – so denn die Voraussetzungen aus vertragszahnärztlicher Sicht vorliegen und eine Genehmigung der Krankenkasse erfolgt – darüber hinaus um in der Regel 6 Monate verlängert werden. Die Frequenz der UPT wird bedarfsgerecht an das individuelle Patientenrisiko angepasst. Damit wird eine entscheidende Lücke in der bisherigen parodontologischen Versorgung in Deutschland geschlossen. Insbesondere Risikogruppen profitieren von dem engmaschigen Nachsorgekonzept.
Der heutige Beschluss wird dem Bundesministerium für Gesundheit zur rechtlichen Prüfung vorgelegt werden und tritt – im Fall der Nichtbeanstandung – zum 1. Juli 2021 in Kraft. Die nun folgenden Verhandlungen von KZBV und GKV-Spitzenverband im Bewertungsausschuss müssen bis dahin abgeschlossen sein. Zum 1. Juli werden die neuen Leistungen zur systematischen Behandlung von Parodontitis und anderer Parodontalerkrankungen (PAR-Richtlinie) dann den Patienten in vertragszahnärztlichen Praxen zur Verfügung stehen.
Hintergrund: Parodontale Erkrankungen
Die Parodontitis ist eine chronische Entzündung des Zahnhalteapparates, die wesentlich durch bakterielle Beläge auf Zahnoberflächen und in den Zahnzwischenräumen verursacht wird. Parodontale Erkrankungen sind der Hauptgrund für den Verlust von Zähnen bei Erwachsenen. Nach aktuellen Berechnungen sind allein in Deutschland fast 12 Millionen Erwachsene von einer schweren parodontalen Erkrankung betroffen.
Bei einer Parodontitis werden in einem schubweise verlaufenden Prozess Gewebe und Knochen zerstört, die für den Halt des Zahnes verantwortlich sind. Da der Verlauf dieser tückischen Krankheit in der Regel zunächst schmerzlos ist, bleibt die Parodontitis oftmals lange unentdeckt. Unbehandelt kann sie zu Zahnverlust führen, verbunden mit Problemen beim Essen und Sprechen. Selbstvertrauen und Lebensqualität betroffener Patienten sind beeinträchtigt. Die Parodontitis ist keine lokal auf die Mundhöhle begrenzte Infektion. Es bestehen wissenschaftlich belegte Wechselbeziehungen zwischen der Beeinträchtigung der Mundgesundheit durch eine parodontale Erkrankung und der Allgemeingesundheit. Die Parodontitis steht in Verbindung mit Diabetes, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und anderen chronischen Leiden. Eine Verbesserung der parodontalen Gesundheit trägt daher auch zur Vorbeugung und Kontrolle dieser Erkrankungen bei.
Das gemeinsame PAR-Versorgungskonzept der Zahnärzteschaft
Bereits im Jahr 2017 hatte die Zahnärzteschaft anlässlich des Deutschen Zahnärztetages gemeinsam das „Konzept für die Behandlung von Parodontalerkrankungen bei Versicherten der Gesetzlichen Krankenversicherung” veröffentlicht. Das Konzept basiert auf international anerkannten wissenschaftlichen Erkenntnissen, berücksichtigt den medizinischen Fortschritt und ist eine wesentliche Grundlage für die jetzt überarbeitete Behandlungsstrecke.