Wer kennt das nicht: Zahnstein im Unterkiefer und die Kaffee-, Tee- und Raucherbeläge färben die Unterkieferzähne dunkelbraun. Ihr reibt euch die Hände und greift zu Ultraschall, Scailern, Airfow und Polierpaste. Nach getaner Arbeit könnt ihr euch augenfällig über den Erfolg freuen. Umgekehrt aber machen auch solche Patienten Freude, die ihre eigene Verantwortung erkannt und angenommen haben. Sie kommen regelmäßig zur PZR, haben einen guten Mundhygienezustand und kennen sich in ihrem Mund bestens aus. Hier stellt sich der Erfolg der eigenen Arbeit über einen längeren Zeitraum dar. Ihr habt es geschafft, den Patienten zu überzeugen und könnt euch mit ihm über seine gute Zahngesundheit freuen.
Überzeugungsarbeit braucht Zeit und maßgeschneiderte Argumente
Doch ihr wisst auch: Bis dahin ist es manchmal ein steiniger Weg. Patienten müssen fortwährend motiviert und überzeugt werden. Nicht immer fruchten Argumente sofort, auch wenn sie vernünftig, richtig und wichtig sind. Ihr kennt eigentlich alle Gründe, die Patienten zum Umdenken bewegen sollen, am allerbesten. Wir liefern euch heute einen weiteren: Corona. Oder in medizinisch: Covid-19 oder noch besser, der Erreger SARS-CoV-2. Tatsache ist: Schon seit längerem ist der Zusammenhang zwischen Mundhygiene und Lungenentzündungen sowie anderen Atemwegsinfektionen bekannt. In der Wissenschaftssprache heißt das dann, dass „die mechanische Mundhygiene einen präven- tiven Effekt auf die Sterblichkeit durch Lungenentzündung“ aufweist und zum Beispiel bei älteren Pfegeheimbewohnern ungefähr einer von 10 Todesfällen durch Lungenentzündung verhindert werden könnte.1
Eine tägliche gründliche Mundhygiene ist die beste Intervention vor sogenannten Aspirationspneumonien, also Lungenentzündungen, die entstehen, weil bestimmte Stoffe in die Lunge hineingeatmet werden, die wiederum Entzündungsreaktionen hervorrufen.2 Mit Beginn der Pandemie fing auch die Wissenschaft an, mögliche Zusammenhänge von SARS-CoV-2 und Parodontalerkrankungen zu untersuchen. Vieles sprach dafür, dass eine hohe bakterielle Belastung im Mund zu schwereren Covid-19-Verläufen führen kann. Bisher jedoch fehlten konkrete Daten speziell zu SARS-CoV-2, weil bei Patienten mit Covid-19 keine Mundgesundheitsanamnese und kein parodontaler Status erfasst wur- den.3,4 Anfang dieses Jahres jedoch ging eine Studie durch die Medien, in der ein Zusammenhang zwischen Parodontalerkrankungen und einem schweren Verlauf bei Covid-19 festgestellt wurde.5
Erste Daten zum Zusammenhang von Covid-19 und Parodontitis
In einer sogenannten Fall-Kontroll-Studie – hierbei wird rückblickend nach Ursachen geforscht – wurden Patienten mit Covid-19-Komplikationen (Fall) mit Covid-19-Erkrankten ohne Komplikationen (Kontrollen) verglichen (Abb. 1). Mit Komplikationen waren künstliche Beatmung, Intensivstation oder Tod gemeint. Die Ergebnisse zeigen, dass Covid-19-Komplikationen bei Patienten mit moderater bis schwerer Parodontitis signifikant häufiger auftraten als bei Patienten mit milder oder keiner Parodontitis. Auch wurde sichtbar, dass die Patienten, die an Covid-19 und Parodontitis erkrankt waren, einen signifikant höheren Spiegel an Entzündungsmarkern aufwiesen als diejenigen ohne Parodontitis.
In der Studie zeigte sich: Covid-19-Patienten mit Parodontitis werden 3,5 Mal häufiger auf der Intensivstation betreut, benötigen 4,5 Mal häufiger ein Beatmungsgerät und sterben fast 9 Mal häufiger als Patienten ohne Parodontitis. Aber Wissenschaft wäre nicht Wissenschaft, wenn sie nicht ganz exakt arbeiten würde. Und so sagen die Autoren im gleichen Atemzug, dass die Ergebnisse mit Vorsicht zu genießen seien, da noch weitere Forschung notwendig sei, um diese Aussage „systemische Entzündungen tragen zu schweren Verläufen bei Covid-19 bei“ auch wirklich ganz sicher tätigen zu können. Daten von 568 Personen aus einem einzigen Land lassen keine Schlussfolgerung auf die Weltbevölkerung zu. Es braucht weitere Untersuchungen in unterschiedlichen Ländern, mit verschiedenen Personengruppen. Da ist Wissenschaft vorsichtig – und das ist auch gut so.
Hygiene ist und bleibt das A&O
Bis dahin bleiben uns auf jeden Fall die bisherigen Erkenntnisse, dass eine gute Mundhygiene nicht nur für die Mundgesundheit, sondern auch für die Allgemeingesundheit wichtig ist.6,7 Durch Corona schenken die Menschen der Hygiene mehr Beachtung. Wenn sie wüssten, dass ein gesunder Mund das Risiko von Komplikationen durch Covid-19 verringern könnte – dann vielleicht auch ihrer Mundhygiene. Das ist doch ein schlagkräftiges Argument, oder?
Quellen:
1 Sjögren P, Nilsson E, Forsell M, Johansson O, Hoogstraate J. A systematic review of the preventive effect of oral hygiene on pneumonia and respiratory tract infection in elderly people in hospitals and nursing homes: effect estimates and methodological quality of randomized controlled trials. J Am Geriatr Soc. 2008 Nov;56(11):2124-30.
2 van der Maarel-Wierink CD, Vanobbergen JN, Bronkhorst EM, Schols JM, de Baat C. Oral health care and aspiration pneumonia in frail older people: a systematic literature review. Gerodontology. 2013 Mar;30(1):3-9.
3 Sampson V, Kamona N, Sampson A. Could there be a link between oral hygiene and the severity of SARS-CoV-2 infections? Br Dent J. 2020 Jun;228(12):971-975.
4 Pitones-Rubio V, Chávez-Cortez EG, Hurtado-Camarena A, González-Rascón A, Serafín-Higuera N. Is periodontal disease a risk factor for severe COVID-19 illness? Med Hypotheses. 2020 Nov; 144:109969
5 Marouf N, Cai W, Said KN, Daas H, Diab H, Chinta VR, Hssain AA, Nicolau B, Sanz M, Tamimi F. Association between periodontitis and severity of COVID-19 infection: A case-control study. J Clin Periodontol. 2021 Feb 1.
6 Deschner J. Interaktionen zwischen Parodontitis und Systemerkrankungen. DFZ 62, 68–76 (2018).
7 Dommisch H, Kebschull M, Jepsen S. Allgemeine Gesundheit und Parodontitis. zm 23_24, 46-54 (2017)