Im Negativ-Fokus sollten vor allem hochglykämische Kohlenhydrate stehen, sie liefern unmittelbar Nahrung für Kariesbakterien und begünstigen zudem Entzündungsreaktionen im Körper. Zusammen mit gesättigten Fettsäuren spielen Zucker und Weißmehl – vor allem in stark verarbeiteten Lebensmitteln vorkommend – eine tragende Rolle bei Übergewicht und damit häufig verbundenen Zivilisationskrankheiten wie Diabetes Typ II, Arteriosklerose, Herz-Kreislauf- und Stoffwechselproblemen sowie Zahnbetterkrankungen (Parodontitis). Woran es beim mundgesunden Essen hapert, sind pflanzenbasierte Lebensmittel. Möglicherweise lautet eine gangbare Empfehlung: Zurück in die Steinzeit – zumindest ein bisschen. Die erstaunlichen Ergebnisse eines Experimentes halten jedenfalls der wissenschaftlichen Überprüfung stand – häufig ein Augenöffner im Patientengespräch.
Zehn Teilnehmer, die vier Wochen unter Steinzeitbedingungen gelebt hatten, standen 2007 im Mittelpunkt einer Serie im Schweizer Fernsehen. Neben den Kameras begleitete auch ein Stab aus Medizinern das Experiment. Der zahnärztliche Befund: Aufgrund mangelnder, moderner Mundhygiene nahm erwartungsgemäß der Zahnbelag zu.
Erstaunlich war jedoch, dass dies nicht zu vermehrten Zahnfleischentzündungen führte. Der Gingivitis-Index blieb praktisch unverändert, Sondierungstiefen und der Blutungsidex (BOP) gingen sogar zurück.
Eine randomisierte, kontrollierte Pilotstudie der Universität Freiburg bestätigte 2016, dass dies unter anderem auf das Fehlen von raffiniertem Zucker und Weißmehl zurückging. Da sich mit einer entsprechend optimierten Ernährung sämtliche Entzündungsparameter reduzierten, lautet die Schlussfolgerung: Moderne, westliche Ernährungsgewohnheiten mit vielen kurzkettigen Kohlenhydraten und gesättigten Fettsäuren − fetti- gem Gebäck, Schokolade, Sahne oder Wurst – fördern entzündliche Reaktionen nicht nur im Mund, sondern im ganzen Körper. Daraus ließen sich in ergänzenden Studien weitere Ernährungsempfehlungen zur Prävention und Behandlung von Gingivitis und Parodontitis ableiten. Vor allem Omega-3-Fettäuren (beispielsweise aus Fisch und Nüssen) wirken offensichtlich durch aktive Metabolite (spezielle Lipidmediatoren) entzündungshemmend. Gesättigte Fettsäuren oder Transfette, die bei starker Hitze entstehen (Frittierfett) lassen dagegen Blutzucker und Insulin schnell ansteigen, was wiederum entzündliche Prozesse fördert. Der Zusammenhang von Diabetes und Parodontitis ist dem- nach kein Zufall!
Ebenfalls wird zunehmend über den Zusammenhang von Ernährung und gesunder Mundflora diskutiert. Die Mikrobiom-Forschung zeigt beispielsweise eine klare Beziehung zwischen dem Darm-assoziierten und dem Schleimhaut-assoziierten Immunsystem. Damit erhalten Probiotika in der Parodontitistherapie ein stärkeres Gewicht. Über die Makronährstoffe (Kohlenhydrate, Proteine, Fette) hinaus rücken häufiger die Mikronährstoffe in den Fokus, vorwiegend aus Früchten, Gemüsen, Beeren oder Hülsenfrüchten. Diese bilden die Grundlage, damit Stoffwechsel und Immunsystem reibungslos funktionieren. Über die bekannten Vitamine C und D hinaus werden immer mehr Vitamine, Mineralien, Spurenelemente und vor allem sekundäre Pflanzenstoffe in ihrer Wirksamkeit bestätigt. Ballaststoffe aus pflanzlicher Kost wirken Entzündungen entgegen und haben zudem positive Effekte auf einen konstanten Blutzuckerspiegel.*
Wie Convenience schadet
Paradoxerweise kann sich das moderne Streben nach gesunder Ernährung mit viel Früchten und Gemüse sogar schädlich auf die Zähne auswirken. Convenience-Produkte machen es möglich. Bei Kindern sind beispielsweise sogenannte Quetschies beliebt, aus denen Fruchtpüree genuckelt wird. Erwachsene bedienen sich oftmals in ähnlicher Weise an Smoothies oder isotonischen Getränken aus einer Sportflasche (häufig aromatisiert mit Zitronensäure). Fruchtmus oder Getränk umspülen über längere Zeit die Zähne.
Zahnschmelz ist die härteste Substanz im menschlichen Körper, allerdings ist der Hauptbestanteil – kristallines Hydroxylapatit – säurelöslich. Die Fruchtsäure fördert Erosionen und der Fruchtzucker gibt den Kariesbakterien Nahrung. Weil die Keime mit sehr wenig Zucker auskommen, ist schon ein kleiner Schuss Apfelsaft im Mineralwasser schädlich. Je länger säurehaltiges Essen oder Getränke im Mund bleiben, desto größer wird die Belastung, weil sich die Zähne nicht mehr remineralisieren können. Manchmal haben jedoch schon kleine Veränderungen eine große Wirkung. Zum Beispiel kann das Kalzium in Milchprodukten die erodierenden Eigenschaften von Säuren verringern. Obst mit Joghurt zu essen, wäre ein zahnschonender Ansatz. Früchte und Gemüse zu kauen, statt Fruchtmus zu schlürfen, würde die Gesichtsmuskulatur und den Speichelfluss fördern. Speichel verdünnt und neutralisiert die Säure und trägt außerdem zur Remine- ralisation von Zahnschmelz bei. Auch das Kauen von zuckerfreiem Kaugummi kann einen Beitrag leisten.
Wie bildhafte Erklärungen helfen
Patienten ist zu raten, nach einem säurehaltigen Essen den Mund nur mit Wasser zu spülen und die Zähne erst mit etwas Verzögerung zu putzen, eine fluoridierte, niedrig abrasive Zahncreme (also keine Whitening-Produkte) zu nutzen und auf den Andruck der Zahnbürste zu achten. Schließlich werden fortschreitende Erosionen zunehmend unange- nehm, wenn die Dentintubuli freiliegen. Die Zähne reagieren hypersensibel auf Wärme, Kälte, osmotische Reize (zuckerhaltige Lebensmittel und Getränke) oder Luftzug. Somit kann sich eine notwendige Professionelle Zahnreinigung schon wegen des Speichelsaugers schmerzhaft gestalten. Grundsätzlich kann man sagen, dass Gesundheit – im Mund und anderswo – mit der Ernährung beginnt. Möglicherweise kann das eine bildhafte Beschreibung verdeutlichen: Was wir essen und trinken, ist Treibstoff für unsere Körperzellen. Niemand würde auf die Idee kommen, einen Benziner mit Diesel zu betanken. Aber da der Körper nach dem Verzehr von Schokoladenkuchen, Mettbrötchen oder Fertigpizza nicht unmittelbar den Betrieb einstellt, geht man davon aus, dass dies ja nicht so schädlich sein könne.
Guter Treibstoff für die Zellen steckt in komplexen Kohlenhydraten, am besten in Form von Vollkornbrot, Hülsenfrüchten, Obst, Salaten und Rohkost. Was bissfest ist, wird gut gekaut, regt den Speichelfluss an und neutralisiert damit schädliche Säuren. Bei Süßigkeiten sollte man Vernunft walten lassen und sie im Idealfall zu den Mahlzeiten essen. Alles was klebt oder lange im Mund bleibt, richtet vermehrten Schaden an. Einfache Kohlenhydrate und schlechte Fette fördern nicht nur Übergewicht, sondern auch Karies, Entzündungen von Zahnfleisch und Zahnbett. Außerdem bedenkenswert: Eine gesunde Mundschleimhaut stellt eine erste Barriere gegen Corona- Viren und andere Erreger dar. Ernährung ist zwar ein Lifestyle- Thema (siehe Kochsendungen, Veganismus oder Diättrends), doch die Verbindung zu gesunden Zähnen und Zahnfleisch wird gedanklich nicht immer hergestellt. Die Herausforderung in der Kommunikation ist, dem Patienten die Eigenverantwortung für seinen Körper bewusst zu machen.
Niemand will Ängste schüren. Gangbare Schritt für Schritt-Lösungen aufzuzeigen, dürfte wesentlich wirkungsvoller sein (beispielsweise süße Snacks nur als Nachtisch zu essen, verstärkt Wasser statt Limo zu trinken, mehr Gerichte mit Bohnen, Linsen oder Kichererbsen zu versuchen). Zu bedenken ist: Wenn Zähne bereits wackeln und das Zahnfeisch schmerzt, kann sich gesundes Essen mit kernigem Brot, viel rohem Obst und Gemüse schwierig gestalten. Begreift man Parodontitis als Volks- und Zivilisationskrankheit, könnte ein bisschen „Zurück in die Steinzeit“ nicht schaden.
11 Tipps zur mundgesunden Ernährung finden Sie hier:
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