Kinderzähne: Mythen und Fragen – wir klären auf

TePe
Dr. Ralf Steltmann

Wenn die ersten Zähne durchbrechen, sind das immer ganz besondere Momente. Doch die Vorfreude wird oft getrübt durch die Sorge vor Zahnungsbeschwerden. Aber ist „Zahnfieber“ wirklich ein reales Problem? In der Serie TePe Talk nehmen wir fünf Fragestellungen aus der Kinderzahnheilkunde genauer unter die Lupe.

Lasst uns gemeinsam die besten Präventionskonzepte nutzen.

Jedes Kind kostet werdende Mütter einen Zahn – stimmt das denn?

Ein alter Mythos, der in Zeiten wirksamer Präventionskonzepte aber gern ins Reich der Legenden verwiesen wird. Ein niederländisch-deutsches Team wollte es genauer wissen.1 Weil sich der gängige Studienansatz mit Auslosung von Testgruppe (werdende Mütter) und Kontrollgruppe (kinderlos Bleibende) natürlich nicht durchführen lässt, wurde der Faktor Zufall durch die Untersuchung von Müttern mit Mehrlingsgeburten „simuliert“. Tatsächlich wurde durch dieses „natürliche Experiment“ gezeigt, dass Geburten tendenziell zu überdurchschnittlichem Zahnverlust führen können. So hatten beispielsweise Zwillingsmütter mit einem dritten Kind in ihrer zweiten Lebenshälfte im Schnitt rund vier Zähne weniger als jene mit nur zwei Kindern. Über Ursache-Wirkungs-Beziehungen ließ sich natürlich nur spekulieren. Aber es ist bekannt, dass Schwangerschaften Auswirkungen auf die Mundgesundheit haben können. Ausgewertet wurden übrigens Daten von 34.000 Personen aus 15 Ländern – ein Zusammenhang mit dem Zahnbestand der Väter konnte jedoch nicht festgestellt werden.

Zahnfieber – real oder nicht?

Beim Zahnen kann es bei Kindern nicht nur zu Unruhe, Weinen und vermehrtem Sabbern, sondern auch zu Symptomen wie Durchfall, Ohrenschmerzen, Hautveränderungen, Schlafstörungen oder fiebrigen Infekten kommen. Eine umfangreiche Analyse brasilianischer Kinderärzte und Zahnärzte ergab, dass etwa 70 Prozent der Kleinkinder solche Erfahrungen machen, insbesondere wenn mehrere Zähne gleichzeitig durchbrechen.2 Jedoch ist das „Zahnfieber“ als Ursache eher ein Mythos, denn die Temperatur lag nur selten über 38 Grad Celsius rektal. Professor Koletzko von der Stiftung Kindergesundheit erklärt, dass der Beginn des Zahnens (6.-8. Monat) in eine Phase fällt, in der sich die mütterliche Abwehrkraft verbraucht und oft auf eine andere Ernährung umgestellt wird. Dies stellt eine Herausforderung für den kindlichen Körper dar, was zu gelegentlichem Temperaturanstieg, Stoffwechselanregung und sogar Beschleunigung des Zahnens führen kann. Leichtes Fieber kann das Zahnen zwar fördern, ist aber normalerweise nicht die Ursache dafür. Bei schweren Symptomen wird jedoch empfohlen, zur Abklärung einen Kinderarzt aufzusuchen. Zahnen ist aber keine Krankheit.

Fernsehen als Ablenkung und Angstlöser – bringt das wirklich was?

Viele haben es so gelernt: Zuerst wird Kindern eine Therapiemaßnahme erklärt, danach werden ihnen Instrumente oder Materialien gezeigt und dann geht’s los. Wie unterschiedlich kooperativ sich junge Patienten im Verlauf von Tell-Show-Do (TSD) zeigen, wissen wir alle. Und auch, dass sie vor der „Glotze“ oder dem Tablet scheinbar abwesend in andere Welten eintauchen und dabei ihre Umgebung oft ausblenden. Also hat sich eine israelische Gruppe der Frage gewidmet, ob Fernsehen während der Behandlung Vorteile für Kinder (und das Praxis-Team) hat.3 Schließlich ist Ablenkung eine gute Methode, um anderen oder sich selbst Unangenehmes erträglicher zu machen. Angst kann so reduziert werden, und es fällt leichter zu entspannen. Die Beobachtungen wurden an etwa sieben Jahre alten Kindern während restaurativer Therapien gemacht. Im Vergleich zum TSD hat Fernsehen die Angst signifikant reduziert (Auswertung der Mimik), die Pulsrate gesenkt und die Mitarbeit sogar signifikant verbessert! Mit Anästhesie funktionierte die Ablenkung noch besser. Die ZM kommentierten wenig überrascht: Wer ‚heimlich‘, zum Beispiel während eines fesselnden Trickfilms, eine „Spritze“ bekommt, ist natürlich entspannter als jemand, dem man zuvor die Injektion erklärt und die Nadel präsentiert.4 Hier gilt also: Fernsehen lenkt ab und entspannt. Welches Programm dabei lief, ist jedoch nicht bekannt.

Beruhigen die Eltern ihre Kinder während der Therapie?

Das kommt ganz darauf an. Türkische Forscher beobachteten dazu Kinder von vier bis acht Jahren während Kariestherapie unter Lokalanästhesie, die noch nie einen invasiven Eingriff erlebt hatten. Gleichzeitig wurde die Herzfrequenz der Kinder gemessen. Anschließend drückten sie ihr Empfinden auf einer Gesichter-Skala aus (Smilies). Die Erkenntnis: Kinder hatten die höchste Herzfrequenz, wenn ihre ängstlichen Eltern dabei waren, eine geringere wenn diese nicht im Raum waren. Auch der Umgang mit den Kids war bei Abwesenheit der Eltern einfacher für das Team. Das geringste Herzklopfen hatten Kinder in Anwesenheit ihrer angstfreien Eltern. Es gibt unterschiedliche Ansichten zum elterlichen Einfluss im Sprechzimmer, diese Studie zeigte jedoch, dass sich deren eigene Angst auf ihre Kinder überträgt.5

Keine Frage: Lachen ist gesund!

Wie wir wissen gilt eben auch in der Praxis: Lachen und gute Laune funktionieren besser als negative oder gar angsteinflößende Schwingungen. Deshalb sollte der Fokus auch bei der Mundhygienemotivation auf einer unterhaltsamen, gerne lustigen Kommunikation liegen, wie eine niederländische Gruppe zeigte. Verglichen wurden dazu die Effekte eines humorvollen und eines Standard-Lehrtextes auf den Plaque-Index. Auch hier wurden zusätzlich Gefühle und Meinungen der untersuchten Kinder (4-10 Jahre) über eine Smiley-Auswahl erfasst. Wenn der Humor darauf basiert, dass sich die Charaktere einer unterhaltsamen Geschichte falsch oder absurd verhalten, dann kommt es allerdings sehr darauf an, dass sich die Kinder darüber bewusst sind. Dann funktioniert der Ansatz mit lustigen Figuren, Übertreibungen und Merkwürdigkeiten bei der Verbesserung der Mundhygiene gut.6

Ganz im Ernst

Alle Kinder und natürlich auch ihre Eltern profitieren von guter Zahnpflege. Allerdings werden gerade Kleinkinder noch immer besonders beeinträchtigt durch Karies, Zahnunfälle, Hypomineralisationen und Zahnfehlstellungen durch Habits, in der Folge aber auch ihre Familien und die Gesellschaft. Es geht also darum, gemeinsam weiter die effizientesten Präventionsansätze zu finden und zu nutzen. Aufklärung und Einbeziehung aller Beteiligten sind dafür wichtige Voraussetzungen.

Quellen
1 Gabel F et al. Gain a child, lose a tooth? Using natural experiments to distinguish between fact and fiction. J Epidemiol Community Health. 2018 Jun;72(6):552-556.
2 Massignan C et al. Signs and Symptoms of Primary Tooth Eruption: A Meta-analysis. Pediatrics. 2016 Mar;137(3).
3 Kharouba J et al. The effect of television distraction versus Tell-Show-Do as behavioral management techniques in children undergoing dental treatments. Quintessence Int. 2020;51(6):486-494.
4 Tell-Show-Do oder durchziehen? ZM 110, Nr. 15-16, 16.8.2020, (1529).
5 Yigit T et al. The effect of parental presence and dental anxiety on children‘s fear during dental procedures: A randomized trial. Clin Child Psychol Psychiatry. 2022 Oct;27(4):1234-1245. doi: 10.1177/13591045211067556. Epub 2022 Jan 17. PMID: 35038278.
6 Bálint KÉ et al. Can A Funny Story about Tooth Brushing Decrease Plaque Scores in Children? A Longitudinal Field Experiment. Health Commun. 2022 Jun;37(7):802-812. doi: 10.1080/10410236.2020.1871166. Epub 2021 Jan 18. PMID: 33459055.

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