Prophylaxe in der Schwangerschaft

MAM Deutschland
Prof. Dr. Nicole Arweiler*

Die wichtigsten physiologischen, hormonellen und vielleicht auch schönsten Veränderungen im Leben einer Frau finden während der Schwangerschaft statt. Und der Mund ist einer der Hauptbereiche, die an diesen Veränderungen beteiligt sind. Die Forschung ist sich einig: Schwangere Patienten benötigen besondere Mundhygieneinstruktionen, um eine Parodontitis unbedingt zu vermeiden. Denn gerade eine PA-Therapie kann für Schwangere nerven-, zeit- und gesundheitsraubend sein.

Prophylaxe in der Schwangerschaft, Quelle: MAM Deutschland

Die Schwangerschaftsgingivitis gehört zu den wichtigsten parodontalen Erkrankungen. Unbehandelt kann sie wie andere Formen der Gingivitis zur Parodontitis führen. Mit der Schwangerschaft ist keine spezifische Art der Parodontitis verbunden, aber sie scheint ein potenzieller Risikofaktor für unerwünschte Schwangerschaftsabläufe zu sein.

Der Gesetzgeber kennt bereits seit Jahrzehnten die Bedeutung von parodontaler Gesundheit für werdende Mütter. So schreiben Bundesausschüsse und Krankenkassen vor, dass Gynäkologen und Zahnärzte im letzten Drittel der Schwangerschaft bedarfsgerecht über die Bedeutung der Mundhygiene für Mutter und Kind sprechen sollen. Doch leider sieht die Realität so aus, dass nur 5 bis 10 Prozent der Schwangeren weltweit einen Zahnarzt während der Schwangerschaft aufsuchen. Der sozioöko­nomische Status, Angst und vielleicht auch Apathie führen dazu, dass viele Patienten den Gang zum Zahnarzt meiden.

Die Schwangerschaftsgingivitis
Tatsächlich können verschiedene parodontale Erkrankungen, darunter Schwangerschaftsgingivitis, Granulom gravidarium (Schwangerschafts­ tumor) und Parodontitis die (Mund­) Gesundheit schwangerer Frauen beeinträchtigen. Die Schwangerschaftsgingivitis gehört dabei zu den klassischen gingivalen Erkrankungen und zählt zu denjenigen, die durch systemische Faktoren modifiziert sind. Das können hormonelle Einflüsse wie Pubertät, Menstruation, Schwangerschaft und Diabetes mellitus oder auch Blutbildstörungen sein. In Aussehen und Form unterscheidet sich die Schwangerschaftsgingivitis nicht von der klassischen Gingivitis. Aber ihre Prävalenz unterscheidet sich. Bereits 1933 sprachen Ziskin et al. von einem 30­ bis 100­prozentigen Vorkommen. Neuere Studien 1­-3 schwanken zwischen 38 Prozent und 93,7 Prozent. Allen Studien gemein ist, dass die Gingivitis mit dem Hormonlevel und der Plaque korreliert. Im zweiten und dritten Trimester bemerken Schwangere im Allgemeinen eine Steigerung der Gingivitis und Blutungen, da der Körper die Steroid­ hormone Progesteron und Östrogen stärker produziert. Je mehr Plaque vorhanden ist, desto höher ist auch das Risiko einer Gingivitis.

Die Ursachen der Schwangerschaftsgingivitis scheinen aber komplexer zu sein als bisher angenommen. Bereits geringe Mengen an Plaque führen bei Schwangeren zu einer überschießenden Entzündungsreaktion im an­ fälligen Gewebe. Nicht nur das Immunsystem ändert sich, sondern auch die Durchblutung sowie das Zellsystem. Die gesamte Mundschleimhaut bereitet sich auf die anstehende Geburt vor. Ein großes Augenmerk muss das Praxisteam deshalb auf den dentalen Biofilm legen. Progesteron und Östrogen fördern direkt die Pathogene P. intermedia und P. gingivalis. Indirekt ist das weiche Gewebe deutlich empfänglicher für Bakterien, die in die Mundhöhle gelangen. Nichts destotrotz bleiben Schwangere, die eine gute Mundhygiene durchführen, von schweren Entzündungen verschont.

Führt die Schwangerschaftsgingivitis nun  zu  Frühgeburten?
Allgemein vermutet die Wissenschaft, dass parodontale Entzündungen bei Schwanger­ schaftskomplikationen eine wichtige Rolle spielen. Die Parodontitis als eine chronische Entzündung hat schließlich eine bakterielle Infektion als Ursache und stellt somit eine potentielle Quelle von zirkulierenden Entzündungsbiomarkern dar. Diese Entzündungs­ mediatoren streuen in den gesamten Körper und werden mit möglichen negativen Schwangerschaftsfolgen in Verbindung gebracht. Studien zur Parodontitis bei Schwan­ geren variieren dabei zwischen 0 Prozent 4 und 61 Prozent.2

Klinische Studien deuten zudem darauf hin, dass Bakterien wie P. gingivalis, T. denticola, T. forsythia und F. nucleatum aus der Mundhöhle den Fötus und die Plazenta kolonisieren. Diese parodontalen Pathogene können damit einen Risikofaktor für negative Schwangerschaftsverläufe darstellen, darunter ein niedriges Geburtsgewicht, Früh­geburten sowie Präeklampsie (Bluthochdruck). Faktisch gibt es aber immer noch keine eindeutigen Beweise, die den Zusammenhang zwischen Parodontitis und unerwünsch­ten Schwangerschaftsabläufen untermauern. Einige Studien deuten zwar darauf hin, dass es eine Assoziation geben könnte. Weitere Untersuchungen sind aber notwendig, um die komplexen biologischen Prozesse zu verstehen. Drei Fakten bleiben:

  1. Eine parodontale Vorerkrankung der Frau kann sich in der Schwangerschaft zu einer Parodontitis verschlimmern.
  2. Nach der Geburt verbessert sich bei Frauen mit Parodontitis der Parodontalstatus auch ohne aktive Parodontitistherapie.
  3. Schwangerschaftsgingivitis allein führt nicht zu negativen Schwangerschaftsfolgen.

Therapie und Vorsorge
Ob gesunder Mund, Gingivitis oder sogar Parodontitis: Heute empfehlen Verbände und Forscher schwangeren Patienten drei Besuche beim Zahnarzt, idealerweise ein­ mal pro Trimester. So können Zahnärzte die Patienten im ersten Trimester umfassend beraten. Das zweite eignet sich für eine professionelle Zahnreinigung und eventuelle Parodontitistherapie. Das dritte Trimester sollte das Praxisteam zur Beratung für die Zahngesundheit des werdenden Kindes nutzen, denn idealerweise beginnt Prophylaxe des Babys bereits in der Schwangerschaft.

In der Zahnarztpraxis sollten schwangere Patienten alles Wichtige über Kariesent­stehung, Infektionswege und Ernährung erfahren. Nicht nur auf der Aufklärung liegt hier ein Schwerpunkt, sondern auch auf einer gezielten präventiven Therapie. Werdende Mütter, die sich selbst für die Prophylaxe begeistern, geben diese Erfahrung an ihre Kinder weiter. Damit steht auch die Prophylaxe für das Kind, also die Primär- Primär­prophylaxe, noch vor der Geburt im Fokus der Zahnmedizin.

Mechanische und professionelle Plaquekontrolle
Im Fokus der Schwangerschaftsprophylaxe steht seit jeher die mecha­nische Plaquekontrolle. Zähneputzen mit weichen Borsten, fluoridhaltige Zahnpasta, Instrumente zur Interdentalpflege und gegebenenfalls che­mische Plaquekontrolle sind Schlüsselinstrumente für die Prävention von Gingivitis und Parodontitis bereits vor der Schwangerschaft. Die neuen S3­-Leitlinien empfehlen zum Beispiel elektrische Zahnbürsten mit oszil­lierenden Rotationen und einer Dauer von 120 Sekunden. Grundsätzlich eignet sich jedoch jedes System der mechanischen Plaquekontrolle, ob manuell oder elektrisch, solange die richtige Technik verwendet wird. Im Falle einer Gingivitis eignen sich auch Mundspüllösungen als zu­ sätzliche Therapie. Bei akuter Gingivitis sollten Patienten Chlorhexidin therapeutisch kurzfristig einsetzen, am besten in einer Konzentration von 0,1 bis 0,2 Prozent oder 1 Prozent. Verschiedene Metaanalysen haben herausgefunden, dass Chlorhexidin in der Schwangerschaft bedenken­los eingesetzt werden kann. Längerfristige chemische Plaquekontrolle eignet sich für Schwangere mit Übelkeit und schlechter Mundhygiene im molaren Bereichen. Weitere Alternativen wie Teebaumöle und Propolis zeigten in Studien hingegen keine Wirksamkeit.

Was bei der Parodontaltherapie zu beachten ist
Wenn das Praxisteam schwangere Patienten mit Parodontitis behandeln muss, haben beide Seiten erst einmal keine Besonderheiten zu beachten. Die Forschung zeigt, dass eine nicht­chirurgische Parodontaltherapie während des zweiten Trimesters unbedenklich ist. Scaling und Root Planing sind damit während der Schwangerschaft sicher. Röntgenauf­ nahmen können aufgenommen und auch eine Lokalanästhesie ohne zusätzliches Risiko für den Fötus oder die schwangere Frau durchgeführt werden. Die Verwendung von üblichen Schmerzmitteln und von syste­ mischen Antibiotika ist sicher.

Die nicht­chirurgische Parodontaltherapie verbessert den Parodontal­ status der meisten schwangeren Frauen mit Parodontalerkrankungen, aber das Ausbleiben von negativen Schwangerschaftsproblemen konn­te noch nicht mit Evidenz gezeigt werden. Man vermutet, dass eine PA- Therapie in der Schwangerschaft zu spät kommt, da eine Kaskade von Entzündungsreaktionen bereits ausgelöst wurde. Sie kann aber die Häufigkeit unerwünschter Schwangerschaftsausgänge bei Frauen senken, bei denen ein hohes Risiko für Schwangerschaftskomplikationen besteht oder die auf eine Parodontalbehandlung besser ansprechen.

Die moderne Schwangerschaftsprophylaxe
Die Professionelle Zahnreinigung als Teil des modernen Biofilmmanage­ ments ist ein unverzichtbarer Bestandteil der Gingivitis­ und Parodontitis­prophylaxe und ­-therapie. Eine PZR in Kombination mit Mundhygiene­produkten und Instruktionen reduziert die moderate oder schwere Gingivitis deutlich. Das zweite Trimester eignet sich dabei am besten für die professionelle Zahnreinigung. Die Übelkeit ist zu diesem Zeitpunkt verschwunden, gleichzeitig kann die Patientin noch eine ganze Stunde liegen, da es noch nicht zu Kompression der vena cava kommt.

Zu einer optimalen Schwangerschaftsprophylaxe gehört aus zahn­medizinischer Sicht auch die Ernährung. Hier sollten sich Patienten nicht einschränken, sondern grundsätzlich die Schwangerschaft genießen. Nichtsdestotrotz sollten Patientinnen auf säurehaltige Speisen und Getränke verzichten. Die „neue Lust“ auf saure und süße Speisen, oft in zu hoher Frequenz, erhöht auch das Risiko einer Karies. Die Pufferkapazität und Spülfunktion des Speichels ist während der Schwangerschaft einge­ schränkt, der Mund tendiert zu Trockenheit, Karies entsteht so leichter. Selbst vermeintlich gesunde Speisen, wie saure Früchte oder Obstsäfte, können so schnell die Zahnhartsubstanz schädigen.

Apropos Erosion: Auch Schwangerschaftsübelkeit führt zum Ausstoß von Magensäure, was wiederum zu unterschiedlich starken Erosionen führen kann. Dabei sollte man das Zähneputzen nach einem Erosionsreiz vermei­den, denn die Pellikel benötigt nach dem Erbrechen ein bis zwei Stunden, um sich wieder zu bilden. Hilfreiche Mittel der Neutralisierung sind neben Milch und Käse vor allem Kaugummi. Anstatt direkt zu putzen, können Schwangere antibakterielle Mund­ und Fluoridspüllösungen verwenden.

Fazit

Die Schwangerschaft stellt eine große Herausforderung für Zähne und Zahnfleisch dar. Die Hauptaufgabe der parodontalen Behandlung während der Schwangerschaft besteht darin, die parodontale und allgemei­ne Gesundheit der Schwangeren zu verbessern. Ernährungsberatung und Mundhygienetraining reduzieren die Plaque und Gingivitis und verhin­dern so die Parodontitis. In Bezug auf die Beeinflussung unerwünsch­ter Schwangerschaftsergebnisse kann es effektiver sein, bereits vor der Schwangerschaft zu intervenieren. Wenn das Praxisteam die Gingivitis kontrolliert und damit die Parodontitis vermeidet, hat es seinen Beitrag zu einer problemlosen Schwangerschaft geleistet. In allen Fällen gilt: Vorbeugen ist besser als heilen… zu müssen. Denn jeder Zahn zählt.

* Danke auch an Marc Chalupsky

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