„Schlechte Zähne sind vererbt“– Teil 2

1.   Parodontitis

Mit zunehmendem Alter der Patienten verlagert sich das Problem der „schlechten Zähne“ weg von der Kariologie mehr und mehr in den Bereich der Parodontologie. Laut der Fünften Deutschen Mundgesundheitsstudie leiden bereits in der Altersgruppe der jungen Erwach- senen (35- bis 44-jährige) 52 Prozent der Deutschen an einer moderaten oder schweren Parodontitis.1 Bei den 65- bis 74-jährigen sind es bereits 65 Prozent.

Jedoch sind auch bei dieser Erkrankung starke Verbesserungen zu verzeichnen. So hat sich in beiden Altersgruppen der Anteil von Patienten mit schwerer Parodontitis von 2005 bis 2014 jeweils halbiert. Auch hier führen die Autoren der DMS V den Rückgang auf die Präventionsmaßnahmen beim Zahnarzt und Interdentalraumreinigung zurück.

Eine chronische Parodontitis entsteht auf der Grundlage einer Gingivitis. Die primäre Ursache für beide Erkrankungen stellt der subgingivale Biofilm dar.2 Durch die Entwicklung einer Dysbiose kommt es zu einer nicht adäquaten, überschießenden Immunantwort des Wirtes und damit zum entzündlichen Abbau des Zahnhalteapparates, der Parodontitis.3 Ist der supra- und subgingivale Biofilm auch der primäre ursächliche Faktor der Parodontitis, so gibt es in der Ätiologie der chronischen Parodontitis nichtsdestotrotz tatsächlich eine nicht zu leugnende genetische Komponente.

Bereits in den Achzigerjahren stellte man  innerhalb  einer  homogenen Gruppe von männlichen Teeplantagenarbeitern in Sri Lanka, die weder konventionelle Mundhygiene betrieb noch Zugang zu zahnärztlicher Versorgung hatte, fest, dass bei allen Arbeitern ein, über die Dauer der Studie, kontinuierlicher Attachmentverlust vorlag. Die-ser war jedoch trotz gleicher Ethnizität, Umwelt, Bildung und Ernährung stark unterschiedlich ausgeprägt und bei einem geringen Anteil sogar beinahe nicht vorhanden.4 Weitere Hinweise zur genetischen Komponente der Parodontitis lieferten Zwillingsstudien und in jüngerer Zeit auch die Erforschung von Polymorphismen in bestimmten mit Parodontitis assoziierten Genloci sowie genomweite Assoziationsstudien.5,6,7

In einem Review von 2019 wurde geschätzt, dass die unterschiedlichen Ausprägungen von Parodontitis zu circa einem Drittel genetischen Faktoren zuzuschreiben seien, vor allem bei den schwereren Ausprägungen bei jüngeren Patienten.8 Dabei geht es zum Beispiel um Gene, die Immunrezeptoren kodieren oder auch Moleküle, die die Intensität einer Immunantwort regulieren.9 Eine genetische Prädisposition für Parodontitis zu haben heißt, dass man anfälliger ist, eine Parodontitis zu entwickeln, nicht aber, dass man zwingend eine Parodontitis ausbilden muss. Die tatsächliche Entstehung der Parodontitis beruht weiterhin zum Großteil auf dem Lebensstil und Umweltfaktoren.9 Jedoch ist der Umwelteinfluss als desto kleiner anzunehmen, je früher die Erkrankung auftritt.

Auch systemische Erkrankungen können Attachment- und Knochenverlust verursachen. Dazu gehören erworbene Erkrankungen wie eine HIV-Infektion, aber auch genetisch bedingte wie Diabetes mellitus, Down-Syndrom oder ein systemsicher Lupus erythematosus. Zudem gibt es sehr seltene mit Parodontitis vergesellschaftete Syndrome wie zum Beispiel das Chediak-Higashi-Syndrom oder das Papillon-Léfèvre-Syndrom.10 Allerdings scheint auch die Parodontitis nicht nur über Gene weitergegeben werden zu können: Wie bei der Karies auch können Leitkeime der Parodontitis wie Aggregatibacter actinomycetemcomitans und Porphyromonas gingivalis vertikal auf die eigenen Kinder oder auch horizontal auf Ehegatten*innen übertragen werden und so das Risiko einer Parodontitis erhöhen.11

Zusammenfassend lässt sich zur Parodontitis sagen: Es gibt genetische Risikofaktoren, die zu einer erhöhten Anfälligkeit für die Ausbildung einer Parodontitis führen können. Diese scheinen im Fall einer früh ausbrechenden aggressiven Parodontitis sogar die Umweltfaktoren zu übertreffen. Je später die Krankheit ausbricht, desto größer wird jedoch der Einfluss von anderen, umweltbedingten Faktoren. Dazu gehören zum Beispiel schlechte Mundhygiene, Rauchen, ein schlecht eingestellter Diabetes und andere mehr. Und nicht zuletzt sollte man bedenken, dass jeder Parodontitis eine Gingivitis vorausgeht, die sich zumeist durch eine gute Mundhygiene vermeiden lässt.

2.   Molaren-Inzisiven-Hypomineralisation

Neben der Karies gewinnt die Molaren-Inzisiven-Hypomineralisation (MIH, Abb. 1) immer mehr an Bedeutung für die Kinderzahnheilkunde. Die MIH ist ein scheinbar immer häufiger vorkommendes Phänomen und tritt in Deutschland bei 12-jährigen mit einer Prävalenz (mindestens ein MIH-Zahn vorhanden) von 28,7 Prozent auf, wobei klinische relevantere Formen der MIH beziehungsweise deren Therapiefolgen (nur) bei 5,4 Prozent der untersuchten festgestellt wurden.1 Andere Studien der vergangenen Jahre ergaben, dass etwa 10 Prozent der 6- bis 9-jährigen betroffen waren12 beziehungsweise dass circa 24 Prozent mindestens einen MIH-Zahn aufwiesen.13 Die Versorgung dieser Zähne könnte damit demnächst sogar wichtiger werden als die Kariestherapie an bleibenden Zähnen bei Kindern in der Wechselgebissphase.

Die Ätiologie der MIH und damit auch die Frage, ob diese Erkrankung vererbt wird, ist nach wie vor unklar. Da es sich bei der MIH in der Regel um eine Hypomineralisation der 6-Jahresmolaren und gegebenenfalls auch der Inzisiven handelt, muss die Ursache im Zeitraum der Mine­ralisation dieser Zähne liegen, also vor, während oder in den ersten Jahren nach der Geburt. Laut einem systematischen Review von 2016 werden als Ursachen unter anderem pränatale Faktoren wie Probleme während der Schwangerschaft, perinatale Einwirkungen wie Frühge­ burt, Kaiserschnitt und Komplikationen bei der Geburt, sowie postna­tale Faktoren diskutiert. Zu letzteren gehören Erkrankungen in früher Kindheit wie Asthma, Fieber, respiratorische Erkrankungen und Ohr­ infektionen, aber auch die Gabe von Antibiotika. Die Autoren schluss­folgern aus der gesichteten Literatur, dass frühkindliche Erkrankungen (vor allem mit Fiebergeschehen) mit MIH assoziiert seien.14

Auch Umwelteinflüsse werden vermutet, da in ländlichen Gegen­den teilweise eine höhere Prävalenz von MIH gefunden wurde als in städtischen.15 Weiterhin könnten soziale Einflussfaktoren eine Rolle spielen: Der diesjährige Barmer Zahnreport konnte eine zweigipflige Verteilung der MIH bezogen auf das Einkommen der Eltern zeigen. So wurden die höchsten Prävalenzen von MIH (berechnet nach The­ rapiebedarf) für Kinder von Eltern mit dem geringsten und mit dem höchsten Einkommen gefunden.16 Auf regionaler Ebene zeigten sich höhere Prävalenzen in reicheren Gegenden. Eine Erklärung für diese Ergebnisse konnte bisher jedoch nicht gefunden werden.

Eine Vererbarkeit von MIH wurde bisher weder bewiesen noch widerlegt. Da jedoch nur Zähne betroffen sind, die innerhalb des­ selben Zeitfensters, nämlich um den Zeitpunkt der Geburt herum, mineralisiert werden, ist diese eher unwahrscheinlich. Sollte es  sich um eine genetische Ursache handeln, stellte sich nämlich die Frage, weshalb die anderen Zähne gesund und ohne Schmelzhypominerali­ sationen durchbrechen.

3.  Amelogenesis imperfecta/Dentinogenesis imperfecta

Diese beiden seltenen Erkrankungen sind in der Tat erblich bedingt. Bei der Amelogenesis imperfecta (A.I.) handelt es sich um eine vererb­te Fehlbildung des Zahnschmelzes, die unterschiedliche Schweregrade annehmen kann. Sie tritt mit einer globalen Prävalenz von < 0,5 Pro­zent sehr selten auf (das heißt weltweit leiden weniger als 1 von 200 Personen an A.I.) und ist immer vererbt (oder eine spontane Mutation, die dann weitervererbt wird).17 Um A.I. von anderen, meist nicht erblichen Erkrankungen oder Veränderungen wie Karies oder MIH zu unterscheiden, kann man sich an vier simple Fragen halten:18

  1. Zeigt irgendein anderes Familienmitglied ein ähnliches Krankheitsbild?
  2. Sind alle Zähne, also das gesamte Gebiss, davon betroffen?
  3. Gibt es eine chronologische Verteilung der detektierten Erscheinungen?
  4. Gibt es in der Anamnese etwas, das eine ausreichende metabolische Störung ausgelöst haben könnte, um die Schmelzbildung zu beeinflus­ sen (zum Beispiel Chemotherapie oder Bestrahlung)?

Ähnlich verhält es sich bei der Dentinogenesis imperfecta. Diese stellt eine erbliche Fehlbildung des Dentins dar. Auch hier sind stets alle Zähne einer Dentition betroffen und es muss eine positive Familienanamnese vorliegen.19 Es gibt also Erkrankungen der Zähne, bei denen Vererbung ganz klar eine Rolle spielt (wie A.I. und D.I.), jedoch sind diese ausgesprochen selten und liegen wohl bei den meisten Patienten, die „schlechte Zähne“ haben, nicht vor.

Fazit

Ja, es gibt „schlechte Zähne“, die vererbt sind. Rein vererbte Zahnerkrankungen wie Amelogenesis imperfecta oder Dentinogenesis imperfecta sind jedoch sehr selten und wenn sie auftreten, sind stets alle Zähne im Gebiss davon betroffen. Für die MIH konnten bisher keine auf eine Vererbung hindeutenden Hinweise gefunden werden. Aufgrund des typischen Befallmusters ausschließlich von Zähnen, die im selben Zeitraum mineralisiert werden, ist sie jedoch sehr unwahrscheinlich. Allerdings gibt es bisher auch keinerlei Erkenntnisse, ob und wie man diese Erkrankung durch Ver- haltensänderungen vermeiden könnte. Bei der Parodontitis verhält es sich hinsichtlich genetischer Veranlagung etwas anders, da hier eine genetisch bedingte Anfälligkeit, insbesondere für frühe, aggressive Formen, erwiesenermaßen vorliegt. Trotzdem muss die Erkrankung einer chronischen Parodontitis nicht zum Ausbruch kommen, wenn andere Risikofaktoren wie zum Beispiel schlechte Mundhygiene und Rauchen vermieden werden. Jedoch werden, wie bei der Karies (siehe Teil 1), auch hier in Sachen (Mund)Gesundheitskompetenz schon in der Kindheit wesentliche Grundlagen gelegt, die langfristige Auswirkungen haben können.

Recall Magazin