Was ist medikamentös und evidenzbasiert bei der ambulanten und stationären Behandlung von COVID-19-Patienten möglich?
Dieser Frage widmete sich Dr. med. Stefan Kluge, Direktor der Klinik für Intensivmedizin des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf, in seinem Vortrag. Für den Mitherausgeber der S3-Leitlinie zur stationären Therapie von COVID-19 gibt es zwei Möglichkeiten zur Behandlung von Patienten mit hypoxämischer respiratorischer Insuffizienz – nachgeschaltet zur normalen Sauerstofftherapie: einmal die nicht-invasive Maskenbeatmung sowie eine High-Flow-Sauerstofftherapie (HFNC) mit angefeuchtetem, hoch konzentriertem Sauerstoff. Etabliert habe sich bei der Hospitalisierung solcher schweren Krankheitsverläufe auch die Bauchlage – sowohl bei nicht beatmeten als auch bei beatmeten Patienten.
Hinsichtlich der medikamentösen Therapie kritisierte Kluge die Vielfalt an Fake News, die derzeit von Experten, aber auch Politikern im Netz und in der Öffentlichkeit verbreitet würden: „Heute müssen wir ganz genau auf die Evidenzen schauen, welche Medikamente man einsetzen kann. Allerdings sind hier die Prozesse extrem dynamisch – nahezu täglich werden neue Studienergebnisse veröffentlicht.“ Dabei unterschied der Intensivmediziner zwischen der ambulanten und stationären Therapie sowie zwischen einer Therapie in der Früh- und Spätphase der COVID-Erkrankung.
Gemäß der WHO-Empfehlung setzt man in Hamburg-Eppendorf bei Risikopatienten auf die Behandlung mit monoklonalen Antikörpern, die das Spikeprotein auf dem Virus besetzen, dadurch schwere Verläufe verhindern und die Sterblichkeitsrate reduzieren. Allerdings ist diese Therapie nur in der Frühphase der Erkrankung sinnvoll. Ein weiteres Problem für die ambulante Versorgung sei die Art der Behandlung, denn die entsprechenden Medikamente müssten intravenös verabreicht werden. „Eine ambulante, intravenöse Behandlung ist flächendeckend in allen deutschen Großstädten nicht möglich“, gab Kluge zu bedenken. Dagegen hätten sich in der ambulanten Versorgung bei Risikopatienten auch inhalative Steroide bewährt. In Studien zeigten diese Patienten eine verkürzte Zeit bis zur klinischen Besserung und weniger Hospitalisierungen. Auch im stationären Bereich habe sich die Steroid-Therapie als erfolgreich erwiesen. Hier werden systemische Kortikosteroide wie Dexamethason bei schwerer oder kritischer COVID-19-Erkrankung eingesetzt. Bei Intensivpatienten setzt der erfahrene Kliniker zusätzlich auf eine Thromboseprophylaxe mit Heparin, die er auch für ambulant behandelte Hochrisikopatienten als sinnvoll erachtet. Eine weitere Substanz, die zunehmend im Krankenhausbereich eingesetzt wird, ist der Entzündungsblocker Tocilizumab.
Wie gut schützen die COVID-19-Impfstoffe? Ist eine Impfung nach Genesung sinnvoll und wie lange hält der Impfschutz an?
Privatdozent Dr. med. Christoph Spinner, Oberarzt, Infektiologe und Pandemiebeauftragter des Klinikums rechts der Isar von der Technischen Universität München, startete seinen Vortrag mit der Aussage: „Mit den Impfungen haben wir ein wirksames Instrument zur Vermeidung einer schweren COVID-19-Erkrankung in der Hand.“ Anhand von Studiendaten, aber auch von Erfahrungswerten aus dem echten Leben erläuterte Spinner die Schutzwirkung der vier in der EU zugelassenen mRNA- und Vektorimpfstoffe. Sein Fazit: „Alle Impfstoffe schützen. Punkt!“ Das Hauptziel der Impfung sei das Verhindern eines schweren Krankheitsverlaufs sowie die Erhaltung der individuellen Gesundheit.
Auffrischungsimpfungen zeigten signifikante Antikörperspiegel bei Immunisierten, was insbesondere für Immungeschwächte von hoher Relevanz sein könnte, sagte Spinner in seinem Vortrag. Auch die heterologe Impfung – also die Kombination aus Adenovirus-Vektor-Impfstoff und mRNA-Vakzin – zeige einen höheren Antikörperspiegel als eine zweimalige mRNA-Impfung. Ob die Impfung nach einer überstandenen Infektion sinnvoll sei, beantwortete der Infektiologe ebenso mit Ja. Durch die erneute Boosterung lasse sich sowohl die B- als auch die T-zelluläre Immunantwort, insbesondere nach asymptomatischer SARS-CoV-2-Infektion oder mildem COVID-19-Verlauf, deutlich verstärken.
Hinsichtlich der Dauer des Impfschutzes sei bei der mRNA-Impfung laut einer aktuellen Studie in den USA nach sechs Monaten noch ein Schutz von 91,3 % vor einer Infektion sowie ein 97 %iger Schutz vor einem schweren COVID-19-Verlauf gegeben. Die Schutzwirkung – sei es durch eine überstandene Infektion oder eine Impfung – sei allerdings von vielen Faktoren abhängig und lasse sich dadurch schwer absolut quantifizieren.
Deshalb machte Spinner seine Bedenken hinsichtlich der Antikörperbestimmung mangels etablierter Grenzwerte aus der Praxis deutlich: Wichtig sei außerdem vor allem die T-zelluläre Immunität, die sich in der klinischen Routine regelhaft nicht bestimmen ließe.
Schützen Impfstoffe vor einer Transmission? Auch diese Frage bejahte der Pandemiebeauftragte: „Allerdings können Geimpfte immer noch infektiös sein. Die Viruslast ist bei Geimpften und Ungeimpften zu Beginn einer Infektion in etwa gleich hoch, wie eine aktuelle Studie zeigt. Trotzdem hilft die Impfung, denn sie verringert die Infektionszeit.“
Das gemeinsame Fazit von Kluge und Spinner lautete nach einer kurzen Fragerunde: „Die Impfung ist der einzige Game-Changer, den wir haben!“
Genomik in der Pandemie unumgänglich
Auf die Genomik des ursprünglichen Corona-Virus, des sog. Wuhan-Wildtyp-Stamms, ging MD Eric Topol, Kardiologe, Professor für Molekularmedizin, Autor und Medscape Editor-in-Chief aus den USA, in seinem Vortrag ein. Es sei von enormer Wichtigkeit, zu beobachten, wie sich das Virus weiterentwickle, um übertragbarer, ansteckender und immunevasiver zu werden. Dadurch, dass der ursprüngliche Stamm D614G sich erst langsam entwickelt hat, weltweit aber nicht eingedämmt werden konnte, haben sich inzwischen Varianten wie Alpha, erstmalig in Großbritannien nachgewiesen, Beta aus Südamerika und Gamma, die brasilianische Variante, entwickelt – mit jeweils spezifischen Eigenschaften.
Die neue Delta-Variante besitze eine hyperübertragbare, hyperansteckende Virulenz, die mit einer verdoppelten Hospitalisierungsrate assoziiert sei, so Topol. Außerdem sei auch bei Geimpften die Viruslast um das Tausendfache höher als bei dem ursprünglichen Stamm. „Deshalb müssen wir die Genomik weiterverfolgen, denn nach Delta wird es weitere Varianten geben – vielleicht sogar solche, die unsere Immunität komplett aushebeln – auch den durch die Impfung erreichten Schutz“, warnt der Molekularmediziner. „Die Genomik ist in der COVID-19-Pandemie also absolut unumgänglich geworden.“
Genesen ist nicht gesund
Im zweiten Teil der CovidCON ging Dr. med. Jördis Frommhold, Chefärztin der Abteilung für Atemwegserkrankungen und Allergien, Fachärztin für Innere Medizin & Pneumologie sowie Notfallmedizin der MEDIAN Klinik Heiligendamm, auf die Symptome und Therapiemöglichkeiten von Post COVID und Long COVID ein. Seit Beginn der Pandemie und dem ersten Patienten, der Mitte April 2020 in ihre Klinik kam, habe sie über 2.000 Patienten mit Post- und Long-COVID-Symptomen betreut. Und die Erfahrung zeigt, dass insbesondere das Long-COVID-Krankheitsbild die unterschiedlichsten Bereiche betrifft – nicht nur körperlich, sondern auch fachlich. Bis zu 200 Organsysteme können davon betroffen sein.
Die S1-Leitlinie zu Post und Long COVID unterscheidet beide Krankheitsbilder nach der zeitlichen Dimension. Im klinischen Alltag habe sich allerdings eine Einteilung in drei Gruppen bewährt, so Frommhold: Bei Gruppe 1 sei der Verlauf mild und unkompliziert. Bei diesen „Genesenen“ seien keine weiteren Post-COVID-Symptome zu erkennen. Dagegen sei der Krankheitsverlauf von Gruppe 2 – den „spät Genesenen“ – schwer bis lebensbedrohlich. Die typischen Symptome nach der Erkrankung seien eine verminderte Leistungsfähigkeit, ein pathologisches Atemmuster, neurologische Einschränkungen, psychosomatische Belastung sowie eine lange Rekonvaleszenszeit. Bei Gruppe 3 – den sog. „krank Genesenen“ – ist der Verlauf eher leicht bis mittelschwer. Zunächst tauchen die v. a. neurologisch-kognitiven Symptome bei diesen Patienten erst später, nach ein bis drei Monaten auf, haben aber durchaus Chronifizierungspotenzial. „Eine exakte, klinische Diagnose ist bei solchen Patienten äußerst schwierig. Wir haben noch keinen Marker, der einen deutlichen Nachweis für Long COVID liefert, sondern verwenden die Ausschlussdiagnostik. Dadurch gibt es bisher auch noch keine echte Evidenz für eine geeignete Therapie“, betont Frommhold.
Leistungsminderung, körperliche Erschöpfung, neurologisch-kognitive Einschränkungen und psychosomatische Probleme – all das lässt sich mit interdisziplinären Reha-Maßnahmen gut therapieren. Allerdings seien Long-COVID-Patienten deutlich schwieriger zu behandeln. Viel Aufklärungsarbeit, zum Teil eine Wiedereingliederung in das Alltags- und Arbeitsleben wären notwendig. „Diese Patienten müssen sich im Klaren darüber sein, dass das Leben vor COVID anders war, als es mit Long COVID sein wird“, so die Expertin über die etwa 400.000 Betroffenen in Deutschland.
Ihr Fazit: „Die Kuh ist noch nicht vom Eis. Long-COVID-Symptome werden uns noch weiter beschäftigen. Die Diagnostik und Therapie bedarf einer umfangreichen Vernetzung von Akut- und Rehamedizin sowie von Haus- und Fachärzten, Ergo- und Psychotherapeuten“. Vor allem müsse der Rehabedarf erkannt werden.
Psychische Folgen der Pandemie und psychologische Antworten
„Wir sitzen nicht alle in einem Boot – alle haben ein ganz unterschiedliches Risikoprofil und sind ganz unterschiedlich von der Pandemie betroffen“, so begann Dr. phil. Samy Egli, leitender Psychologe der Forschungsklinik des Max-Planck-Instituts für Psychiatrie in München, seinen, den letzten CovidCON-Vortrag. Mit „alle“ bezog er sich auf die unterschiedlichen Betroffenen der Pandemie: die Allgemeinbevölkerung, die Erkrankten, psychisch Erkrankte und Behandler, Pflegende und Menschen mit systemrelevanten Berufen.
Mitgebracht hatte Egli zwei Studien, aus denen hervorgeht, dass Patienten ohne psychiatrische Vorgeschichte nach einer COVID-19-Erkrankung ein höheres Risiko für psychiatrische Diagnosen haben. Das Risiko steigt insbesondere für Angst- und Schlafstörungen und Demenz. Umgekehrt konnte ein Zusammenhang von einer psychiatrischen Diagnose aus dem Vorjahr mit einer höheren COVID-19-Inzidenz festgestellt werden. Eine weitere Studie zeigte, je mehr chronische psychische Störungen vorlagen, desto größer waren die wahrgenommenen Auswirkungen auf die psychische Gesundheit. Personen mit psychischen Störungen zeigten vor und während der Pandemie höhere Werte auf allen Symptomskalen. Dagegen zeigten Personen ohne diese Störungen einen größeren Anstieg der Symptome während der Pandemie.
Mit psychologischen Antworten für die psychischen Ebenen – das Verhalten, die Gedanken, Gefühle und den Körper – gab Egli wertvolle Tipps, wie man den psychischen Folgen, z. B. mangelnder Bewegung während des Lockdowns, Schlaf- und Hilflosigkeit, entgegenwirken und seine psychischen Grundbedürfnisse – Bindung, Kontrolle, Selbstwert und Lust – wieder in Einklang bringen kann.
ABER: „Wir müssen den Fokus auf die Gefühle setzen, sie zuordnen und Verständnis für sie aufbringen. Dass eine Situation, die so unkontrollierbar ist, Angst macht, ist noch keine Störung, sondern eine gesunde psychische Reaktion“, betont der Psychologe. Es sei ein deutlicher Anstieg von Menschen sichtbar, die psychische Belastungen zeigen, das bedeute aber noch nicht unbedingt eine Häufung psychischer Störungen im Verlauf der Pandemie.
Raus aus der 4. Welle und Pandemie hinein in die endemische Lage mit mehr Normalität
Das gemeinsame Fazit der CovidCON fasste Moderatorin Dr. med. Nicola Fritz, niedergelassene Hausärztin aus München, so zusammen: „Auch wenn die akuten Infektionen weiter zurückgehen, werden wir auch in Zukunft das Thema COVID-19 nicht ganz aus dem Praxisalltag herausbekommen. Es wird noch eine lange Zeit des Nachbearbeitens geben – zumindest für Hausärzte, Psychiater und Psychologen.“
Co-Moderator PD Dr. med. Christoph Spinner schloss die Veranstaltung mit den Worten: „Wir sind mitten in der 4. Welle, mal sehen, wie sie verlaufen wird. Aber es gibt Grund zur Hoffnung, dass wir aus dieser Pandemie heraus in eine endemische Lage und damit zurück zu etwas mehr Normalität kommen. Bei einem bin ich mir ganz sicher – so wie vor Corona wird es ganz sicher nicht mehr sein.“