recall Eine Parodontitis ist eine nicht nur auf den Mundraum begrenzte Erkrankung. Diese Erkenntnis ist inzwischen wissenschaftlich gut belegt. Wie bewerten Sie in diesem Kontext die Maßnahmen der neuen PAR-Richtlinie in Bezug auf Ihre „Wirksamkeit”?
Wiebke Ivens Aus meiner Sicht ist die neue PAR-Richtlinie eine Enttäuschung. Es ist heute unstrittig, dass Lebensstilfaktoren einen Einfluss auf Entstehung und Verlauf einer chronischen Parodontitis haben. Die Richtlinie greift dies zwar oberflächlich über die „Information gesundheitsbewusstes Verhalten zur Reduktion von Risikofaktoren“ auf. Diese Informationspflicht wird aber nicht weiter ausgeführt. Es fehlen Vorlagen zur Bewertung der Lebensumstände und allgemeinen Gesundheit und dazu, wie Zahnärzte und Praxisteam unterstützend tätig werden können. Aus unserer Sicht kann man von der rein mechanischen Parodontitisbehandlung keine lange Wirksamkeit erwarten, denn es werden nur die peripheren Symptome behandelt und nicht die Ursachen. Verstehen Sie mich bitte nicht falsch: Die Symptome müssen selbstverständlich auch behandelt werden. Aber dabei sollte es nicht bleiben.
recall Die Ernährung gewinnt immer mehr an Bedeutung beziehungsweise Aufmerksamkeit im Zusammenhang mit der Zahn- und Allgemeingesundheit. Welche grundsätzlichen Empfehlungen können Sie hier aussprechen?
Wiebke Ivens Theoretisch ist das ganz einfach: Wir müssen wieder mehr Bewusstsein für unsere Lebensmittel entwickeln. Unsere Nahrung dient nicht nur der Sättigung, sondern sollte auch und in erster Linie geeignet sein, unseren Körper mit allem zu versorgen, was er braucht. Generell sollte die Nahrung reich an Gemüse, heimischen Saaten und Ölen sein und wenig Kontakt zu Plastik haben. Lieber ein Stück Käse von der Frischetheke als Käse einzeln in Scheiben folienverpackt. Wir wissen, dass Wasser in Plastikflaschen ungesund ist – und schweißen unsere Lebensmittel in Folien ein. Das ist doch verrückt! Auch in der Küche kann man Plastik beziehungsweise Kunststoffe reduzieren und mehr Holz, Glas und Edelstahl nutzen. Antihaftbeschichtungen wie Teflon sehen wir wegen möglicher toxischer Ausgasungen ebenfalls kritisch.
Bei hypo-A sind wir Verfechter der biologischen Ernährung mit einem hohen Frische-Anteil – Bio ist für den Körper gesünder und für die Umwelt besser. Wussten Sie zum Beispiel, dass Glyphosat seit 2010 als Antibiotikum patentiert ist? Und das setzt man auf herkömmlichen Getreidefeldern zur Unkrautbekämpfung ein. Mit jedem Brot, jeder Pizza, jedem Bier oder Käse aus nicht biologischer Herstellung nehmen wir auch konstant kleine Mengen Antibiotika zu uns. Damit leisten wir einen Beitrag zu den immer weiter verbreiteten Antibiotikaresistenzen, die eine reale Gefahr für unsere Gesundheit darstellen, nicht zuletzt, weil diese unter anderem zu chronischen Darmproblemen führen können. Ich empfehle so zu kochen, dass es für mehrere Tage reicht. Man kann ja auch Portionen einfrieren. Ich mag beispielsweise Kartoffelaufläufe und Eintöpfe, die man im Sommer lecker und gesund mit Gartenkräutern variieren kann. Ein einfacher Tipp: Gewöhnen Sie sich an, zu jeder Mahlzeit etwas Frisches zu kombinieren: Tomate, Gurke oder Paprika zum Brot, Obst als Nachtisch usw. Ergänzen Sie Gesundes. Aber bitte nicht schummeln: Ein fertig gekaufter Kartoffelsalat aus dem Plastikbecher zum konventionellen Grillfleisch samt unterschiedlicher Saucen in Weichplastik-Flaschen ist garantiert keine gesunde Ernährung, auch nicht, wenn Kartoffeln und Tomaten ansonsten gesund sind.
Übrigens raten wir bei hypo-A auch generell vom Verzehr rapsölhaltiger Produkte ab. Rapsöl enthält Erucasäure, von der bekannt ist, dass sie unter anderem schädlich auf das Herz-Kreislauf-System wirkt. Aus diesem Grund darf der Gehalt an Erucasäure im Rapsöl 2 Prozent nicht überschreiten. Ich weiß, dass Rapsöl noch immer einen sehr guten Ruf genießt, aber gerade Vorerkrankten empfehle ich dringend, rapsölhaltige Produkte zu meiden, denn wir sehen selbst geringe Mengen an Erucasäure sowie die technisch sehr aufwändige Produktion von Rapsöl kritisch.
Sicherlich müssen wir hier auch als Gesellschaft umdenken: Durch Instagram und Co. ist in den Vordergrund gerückt, dass Essen möglichst gut aussehen muss. Das ist aber nicht unbedingt gesund – und schmeckt im Übrigen auch nicht immer besser. Eine Wurst, die angeschnitten etwas blass oder leicht angegraut ist, weil sie kein Nitritpökelsalz enthält, kann gesünder und leckerer sein als eine mit Konservierungs- und Aromastoffen behandelte rosa Wurst. Nitritpökelsalz bildet krebserregende Nitrosamine. Ich persönlich verzichte gerne darauf!
recall Gemeinsam mit Dr. med. dent. Heinz-Peter Olbertz hat Ihr Vater Peter-Hansen Volkmann als ganzheitlich denkender Arzt bereits vor mehr als zehn Jahren mit Itis-Protect® eine therapeutische Lösung entwickelt, die die Allgemeingesundheit unterstützt und inflammatorische Prozesse im Sinne einer Silent Inflammation im ganzen Körper reduzieren kann. Was genau bewirkt diese Kur, wann ist sie indiziert und welche Erfolge kann man damit erreichen?
Wiebke Ivens Itis-Protect ist eine bilanzierte Diät zum Diätmanagement bei Parodontitis. Sie führt zu einem deutlichen Rückgang der Entzündung und erzielt bei schwerer chronischer Parodontitis eine Heilungsrate von 60 Prozent. Im Grunde genommen ist Itis-Protect eine schrittweise, umfassende Darmkur mit dem Fokus auf Senkung der Entzündungsaktivität. Dabei nehmen Patienten vier Monate lang täglich zu den drei Hauptmahlzeiten je vier verschiedene Kapseln mit hochreinen Mikronährstoffen ein. Die vier Phasen bauen sinnvoll aufeinander auf, das heißt, die Kombinationen sind genau auf kurative Stoffwechselprozesse im Körper abgestimmt. Itis-Protect verbessert die Verdauung und Resorption, unterstützt das Immunsystem, pflegt den Darm und schützt bei Parodontitis meistens sogar vor Zahnverlust.
Auch wenn infolge einer Parodontitis implantiert wird, empfehlen wir vorab oder begleitend die Mikronährstofftherapie mit Itis-Protect. Das Implantat kann stabiler reizlos einwachsen, wenn man die Heilungsprozesse des Körpers zuvor mit Itis-Protect unterstützt hat. Und zur Frage der Indikation: Voraussetzung ist immer, dass Patienten zahnmedizinisch gut versorgt sind. Wenn sich trotz erfolgter Behandlung, guter Mundhygiene und scheinbarer Patienten-Compliance die Parodontitis nicht verbessert, ist das in der Regel ein Fall für Itis- Protect – denn dann ist systemisch etwas im Argen. Auch ein aMMP-8- Test kann bei der Differenzierung helfen. Generell würde ich Patienten mit chronischer Parodontitis immer empfehlen, den eigenen Lebensstil zu überdenken und Verbesserungen in den Bereichen Ernährung, Be- wegung, Tabakkonsum und Stress vorzunehmen. Man kann Itis-Protect ohne weitere Anpassungen erfolgreich anwenden, aber wenn man Lebensstil und Ernährung verbessert, ist die Wirkung oft nachhaltiger.
recall Sie haben bei der Diagnostik den aMMP-8-Wert als Marker für die Schwere der Parodontitis genannt. Was besagt dieser Wert und wann sollte dieser Wert Ihrer Meinung nach erhoben werden?
Wiebke Ivens aMMP-8 ist die Abkürzung für die „aktivierte Matrix- Metalloproteinase-8“. Das Enzym ist ein Destruktionsmarker, der Kollagen im Bindegewebe abbaut und bei Entzündungsprozessen vermehrt ausgeschüttet wird. Wie alle körperlichen Bausteine hat auch aMMP-8 durchaus positive Funktionen – zum Beispiel, indem seine Ausschüttung Geburten einleitet und auch im Rahmen der Wundheilung: Durch den Abbau von geschädigtem oder abgestorbenem Gewebe sorgt aMMP-8 für eine bessere Heilung der Wunde. Wenn man jedoch in der Zahntasche einen aMMP-8-Wert von über 20 ng/ml nachweisen kann, besteht unbedingter Handlungsbedarf. Dann wissen wir, dass der Patient eine massive Entzündungsproblematik hat und dass die Ausschüttung von aMMP-8 maßgeblich zur Gewebezerstörung beiträgt. Übrigens eignet sich der aMMP-8-Test auch zur Früherkennung: Er weist zuverlässig auf eine beginnende Gewebezerstörung hin, bevor äußere Anzeichen einer Entzündung oder Gewebezerstörung beziehungsweise Parodontitis sichtbar werden.
recall Nicht jeder ist gleich bereit beziehungsweise hat das Verständnis dafür, seine Ernährung komplett auf Bio umzustellen oder sieht die Notwendigkeit, neben der gesünderen Ernährung auch noch die körperliche Betätigung zu intensivieren. Dem einen oder anderen wird vielleicht auch das Geld dafür fehlen. Wie stehen Sie zu dem Ansatz, dass jeder Schritt in die Richtung einer gesünderen Ernährung, mehr körperlicher Bewegung und einer gesundheitsbewussten Lebensweise ein guter Schritt in Richtung ganzheitlicher Gesundheit ist, so wie in der Klimadiskussion, dass jeder kleine Schritt etwas dazu beitragen kann – und was empfehlen Sie unserer Leserschaft im Hinblick auf die Beratung der Patienten?
Wiebke Ivens Prinzipiell ist das natürlich richtig: Jeder Schritt in die richtige Richtung ist ein wichtiger Schritt. Aber wir dürfen nicht vergessen: Patienten mit schwerer Parodontitis sind ernsthaft krank. Es gibt eine lange Liste an Folge- und Begleiterkrankungen, für die eine Parodontitis verantwortlich gemacht wird. Insofern sollte man Patienten auch nicht zu leicht aus ihrer Verantwortung entlassen. Kleine Schritte sind gut, aber unter Umständen nicht ausreichend. Man sollte Patienten meiner Ansicht nach bewusst und deutlich auf ihre eigene Verantwortung für ihre Gesundheit hinweisen: Sie können aktiv etwas ändern und ihren Lebensweg in einem gewissen Rahmen beeinflussen. Wenn wir hingegen einen Patienten vor uns haben, der scheinbar gesund ist und regelmäßig zur Prophylaxe kommt, ist für diesen Patienten tatsächlich jeder Schritt in die richtige Richtung wertvoll. Auch und vor allem vor dem Aspekt, dass dieser Patient eventuell der Parodontitispatient von morgen ist. Wenn wir mit der Aufklärung erst beginnen, wenn das Kind in den Brunnen gefallen ist, fällt den Patienten die Umstellung von Ernährung und Lebensstil in der Regel viel schwerer. Wenn eine Ernährungsberatung in die normale Prophylaxe integriert würde, wäre der Schritt nicht mehr ganz so groß, weil die Patienten sich schon vorher regelmäßig mit dem Thema auseinandergesetzt hätten. Ich kann mir vorstellen, dass viele Patienten dankbar für eine solche Beratung sind. Im Grunde genommen sprechen wir hier von einem gesellschaftlichen Problem: Die Belohnung durch Süßes und Fast Food an stressigen Tagen, das Gefühl, laufend Neues ausprobieren zu müssen, weil es hübsch bunt ist oder besonderen Genuss verspricht, ist nicht immer gesund und kann Menschen sogar krank machen. Die Gesellschaft hat uns dahin gelenkt, dass viele von uns den Anspruch haben, sich jeden Tag Fleisch leisten zu wollen. Aber tierische Produkte sind wertvoll. Artgerechte Haltung ist kein Schnelldreher. Wir haben generell eine hohe Konsumhaltung und in meiner Wahrnehmung eine immer geringere Wertehaltung.
Hier liegt in der Tat eine Schnittmenge zwischen den Themen Nachhaltigkeit und Ernährung: Beim Umweltschutz haben wir keine Zeit mehr zu verlieren. Und wenn jemand eine Parodontitis hat oder anderweitig vorerkrankt ist, kann er eben auch nicht mehr abwarten, sondern sollte sofort an sich arbeiten und etwas für sich tun.
recall Nicht nur die Patienten gilt es zu einem gesünderen Lebensstil zu ermutigen, wichtig ist auch, die Informationen für diese Beratung an die Beratenden zu transportieren. Sie bieten ja regelmäßig auch kostenfreie Online-Seminare an und sind auf diversen Veranstaltungen persönlich zugegen. Was wünschen Sie sich für die Zukunft von in unserem Falle der Zahnärzteschaft und deren Angestellten, damit die Parodontitis zukünftig nicht mehr nur überwiegend symptomatisch behandelt wird?
Wiebke Ivens Gerade von Zahnärzten und dem zahnmedizinischen Fachpersonal wünsche ich mir Offenheit. Wenn zum Beispiel nur ein Zahn von einer “oralen Infektion” schwer geschädigt ist, kann die Ursache ganz offensichtlich nicht nur oral sein. Blicken Sie über den Tellerrand und lassen Sie Erkenntnisse aus anderen Fachrichtungen einfließen! Bauen Sie Netzwerke mit Ärzten, Therapeuten und Ernährungswissenschaftlern auf. Im oralen Raum gibt es so viel zu entdecken. Daraus ergeben sich viele Chancen, aber auch eine große Verantwortung. Klären Sie Ihre Patienten im Großen wie im Kleinen auf, machen Sie Menschen mit Parodontitis klar, dass sie anderen Voraussetzungen unterliegen als gesunde Menschen. Erzählen Sie ihnen, warum Glyphosat schädlich ist und warum es sinnvoll sein könnte, Erucasäure zu vermeiden – Rapsöl kann man leicht ersetzen, das ist keine große Umstellung.
Wir werden immer wieder gefragt, warum wir nicht mehr eigene Studien mit unseren Produkten und Produktkombinationen wie zum Beispiel zur Darmpflege durchführen. Die Antwort ist ganz einfach: Wir sind eine kleine Firma und haben einfach nicht genug Ressourcen. Wenn ich könnte, würde ich universitäre Studien hoch und runter in Auftrag geben beziehungsweise unterstützen und ausschreiben. Das ist für ein kleines Familienunterneh- men aber nicht darstellbar. Dabei gibt es viele valide Ergebnisse in angrenzenden Wissenschaften, beispielsweise im Bereich der Ernährungswissenschaft und Biochemie. Schauen Sie sich um! Je mehr Menschen sich dafür interessieren und diese Studienerkenntnisse zusammentragen, desto mehr Erkenntnisse können wir alle gewinnen.
Was mir wichtig ist und wo ich mich engagiere, haben Sie gerade schon erwähnt: hypo-A bietet interessierten Fachgruppen kostenlos Seminare an, in denen wir unser Wissen teilen. Hier richten wir uns gerne auch nach den Bedürfnissen von Interessenten. Deshalb möchte ich die Frage gerne zurückgeben: Welche Wünsche haben die Zahnärzte an uns? Was würde helfen, die Patienten besser zu beraten? Welche Informationen benötigen Sie als ZFA oder DH, um sich sicherer zu fühlen? Ich würde mich freuen, wenn viele Leserinnen und Leser sich an uns wenden und mit uns ins Gespräch darüber gehen, wie wir Sie noch besser darin unterstützen können, bei Parodontitis systemisch und nicht nur symptomatisch aktiv zu werden.
Vielen lieben Dank für das Gespräch!