Teenager-Gehirn verstehen: So motivierst du Jugendliche für ihre Zahngesundheit

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Ester Hoekstra

Die Pubertät ist eine Phase voller Veränderungen – körperlich, emotional und neurologisch. Jugendliche erleben eine Achterbahnfahrt der Gefühle, während ihr Gehirn sich noch im Umbau befindet.

Für dich als Praxismitarbeiterin bedeutet das: Verhalten, Motivation und Compliance von Teenagern lassen sich besser verstehen und gezielt unterstützen, wenn du die besonderen Dynamiken ihres Gehirns kennst. Dieser Artikel zeigt, wie Wissen über das jugendliche Gehirn, typische orale Erkrankungen und moderne Kommunikationsstrategien helfen kann, Jugendliche effektiv zu erreichen und langfristig für ihre Zahngesundheit zu begeistern.

Begegne jugendlichen Patienten mit dem gleichen Respekt wie Erwachsenen.

Wie das Teenager-Gehirn funktioniert

Die Besonderheiten des jugendlichen Gehirns

Das Gehirn von Teenagern befindet sich in einem Umbauprozess, bei dem vor allem der präfrontale Kortex, zuständig für Planung, Impulskontrolle und Entscheidungsfindung, noch nicht vollständig ausgereift ist. Gleichzeitig ist das limbische System, das Emotionen und Belohnungen verarbeitet, besonders aktiv.

Diese asynchrone Entwicklung führt zum typischen Teenagerverhalten: Jugendliche zeigen erhöhte Risikobereitschaft, Impulsivität und ein starkes Bedürfnis nach Anerkennung durch Gleichaltrige. Sie reagieren besonders sensibel auf Belohnungen und positive Verstärkungen, was sowohl Herausforderungen als auch Chancen für die persönliche Entwicklung bietet – etwa Kreativität, Selbstfindung und soziale Lernprozesse.

Wie Gehirnregionen das Verhalten beeinflussen

Der präfrontale Kortex entwickelt sich bis zum Alter von etwa 25 Jahren vollständig und ermöglicht rationales Denken, Planung, Selbstkontrolle und die Einschätzung langfristiger Konsequenzen.

Das limbische System – einschließlich Amygdala und Hippocampus – reagiert besonders stark auf soziale Reize, Belohnung und Risiko. Da das limbische System im Jugendalter dominanter ist, empfinden Jugendliche Emotionen intensiver, können diese aber noch nicht vollständig regulieren. Das erklärt impulsives Verhalten, schnelle Entscheidungen und ein starkes Belohnungsstreben.

Diese neurologische Dynamik – das Zusammenspiel zwischen limbischem System und noch reifendem präfrontalem Kortex – prägt viele typische Verhaltensweisen Jugendlicher, vom Umgang mit Gruppenzwang bis hin zur Wahrnehmung von Risiken.

Was das für die Praxis bedeutet

Für die zahnmedizinische Praxis ist dieses Wissen besonders wertvoll. Es hilft dabei:

  • Motivation zu fördern: Jugendliche sprechen besser auf positive Verstärkung an, etwa durch Lob oder spielerische Belohnungen
  • Compliance zu steigern: Verständnis für die neurologische Dynamik erleichtert das Einhalten von Mundhygiene-Routinen
  • Angstmanagement zu unterstützen: Einfühlsame Kommunikation, die das limbische System anspricht, reduziert Stress und negative Erfahrungen beim Zahnarztbesuch

In der Praxis bedeutet dies, dass klare, wertschätzende Kommunikation, verständnisvolle Aufklärung und positive Verstärkung wesentlich effektiver sind als belehrende oder autoritäre Ansagen.

Häufige Mundgesundheitsprobleme bei Jugendlichen

Gerade in der Pubertät kommt es vermehrt zu oralen Problemen, vor allem durch hormonelle Umstellungen, Veränderungen im Lebensstil und mangelnde Zahnpflege. Dazu zählen unter anderem Gingivitis, Karies, Aphthen und Erosionen. Auch weitere Aspekte wie systemische Erkrankungen und die oralen Auswirkungen sind relevant.

Karies bei Teenagern

Bei Jugendlichen siehst du vor allem Zahnzwischenraumkaries durch unregelmäßige und mangelnde Mundhygiene und Zahnengstand. Außerdem ist oft eine zuckerreiche Ernährung vorhanden.

Ein präventiver Therapieansatz kann eine erhöhte Fluoridierung sein, genauso wie Ernährungsberatung und regelmäßige Termine in der Prophylaxe, wo der Fokus auf Aufklärung und Instruktion liegt.

Zahnfleischentzündungen und Gingivitis

Auch Gingivitis ist eine reversible Erkrankung, die öfter bei Teenagern vorkommt. Vor allem die andauernde Plaqueansammlung durch mangelnde Mundhygiene kann Symptome wie Rötung, Schwellung und Zahnfleischbluten hervorrufen.

Im schlimmsten Fall kann es sogar zu einer Parodontitis kommen. Parodontitis bei Jugendlichen ist zwar eher selten, kann aber bei genetischer Prädisposition oder Immundefekten durchaus vorkommen. Auch hier sind Aufklärung und Reinigung ein sehr wichtiger Bestandteil der Therapie.

Aphthen: Schmerzhafte Mundgeschwüre

Aphthen sind chronisch wiederkehrende Geschwüre in der Mundhöhle. Sie kommen bei etwa 10 bis 30 Prozent der Bevölkerung vor – sehr häufig bei Jugendlichen.

Aphthen sind meistens sehr schmerzhaft, rundlich, weißlich mit rotem Rand. Das Essen und Sprechen ist sehr schmerzhaft, je nachdem wo sich die Aphthe befindet. Die Ursache ist noch unklar, vermutet werden Immunreaktionen oder Stress.

Zahnschmelzerosionen durch säurehaltige Getränke

Erosionen siehst du auch immer häufiger bei Jugendlichen. Meistens liegt die Ursache bei säurehaltigen Getränken, wie Softdrinks und Energydrinks. Temperaturempfindlichkeit kann ein Indikator für Erosionen sein, ebenso wie Zahnschmelzverlust.

Mit Hilfe der BEWE (Basic Erosive Tooth Wear Examination) kann dieser Zahnschmelzverlust dokumentiert werden und so das Ausmaß der Erosion bestimmt werden. Für weitere Informationen dazu ist die Website der Stiftung für Erosionen sehr hilfreich (www.erosivetoothwear.com). Dort gibt es hilfreiche Tools für Professionals und auch für Patientinnen und Patienten, inklusive BEWE-Score und Infos dazu. Manche EDV-Programme haben das Tool schon integriert.

Essstörungen als Erosionsursache

Eine weitere Ursache für Erosionen sind Essstörungen. Oft haben diese ihren Ursprung im Jugendalter. Essstörungen sind allerdings keine Erkrankung, die wir in der Zahnarztpraxis angehen sollten, sondern wir sollten an eine Psychologin oder einen Psychologen überweisen.

Die Erosionen an sich können wir allerdings in der Zahnarztpraxis behandeln. Eine Therapie könnte unter anderem eine Ernährungsberatung sein, ebenso Schutzlacke auftragen und – sehr wichtig – die Aufklärung über das Trinkverhalten. Auch die Frage, wie getrunken wird, kann durchaus berechtigt sein. Denn wenn Patientinnen und Patienten mit ihrem Getränk im Mund „spielen”, sind die Zähne länger der Säure ausgesetzt.

Traumatische Läsionen und Piercings

Unter traumatischen Läsionen verstehen wir vieles: Denk an Piercings, Sportverletzungen oder Zahnunfälle, aber auch der heiße Käse von der Pizza kann den Gaumen verbrennen.

Vor allem im jugendlichen Alter wird experimentiert und Piercings gehören bei vielen Jugendlichen dazu. Die beliebtesten Stellen für Piercings sind Ohrläppchen (auch als Tunnel), Helix/Tragus (Knorpelbereiche am Ohr), Nasenflügel, Bauchnabel, Lippe oder Lippenrand und Zunge.

Warum Jugendliche sich piercen lassen

Piercings sind für viele Jugendliche ein Zeichen, um sich von der Masse abzuheben. Auch Gruppenzugehörigkeit, wenn Freundinnen und Freunde oder Influencerinnen und Influencer Piercings tragen, steigt der Wunsch „dazuzugehören”.

Als Symbol der Rebellion und Unabhängigkeit sind Piercings in der Pubertät besonders geeignet. Sie können zeigen, dass sie eigene Entscheidungen treffen können oder um Grenzen auszutesten. Aber auch Ästhetik und Mode sind Faktoren, warum Jugendliche sich für Piercings entscheiden. Vor allem Piercings im Ohrläppchen und Nasenflügel gelten als weniger schmerzhaft, was sie besonders attraktiv macht.

Gesundheitsrisiken von Piercings

Leider können Piercings auch Folgen für die Gesundheit haben, sei es die allgemeine Gesundheit oder die orale Gesundheit. Denn sie können Entzündungen bei schlechter Pflege hervorrufen oder auch Zahnfrakturen.

Candida-Infektionen im Jugendalter

Eine Candida-Infektion ist eine Infektion, die auch häufig bei Jugendlichen beobachtet wird. Sie wird begünstigt durch Antibiotikabehandlung, Immunschwäche und schlechte Mundhygiene.

Symptome sind oft schleichend und oft nicht schmerzhaft. Einige Symptome sind weißliche Beläge, Dysgeusie (Geschmacksstörungen) und auch Brennen. Ein therapeutisches Antimykotikum und die Verbesserung der Mundhygiene hilft in der Regel ganz schnell.

Systemische Erkrankungen mit oralen Manifestationen

Es gibt systemische Erkrankungen mit oralen Manifestationen, wie zum Beispiel Diabetes mellitus und Immundefekte, die ihre ersten Symptome in der Mundhöhle zeigen.

Diabetes mellitus Typ 1 kann, durch die hormonelle Umstellung bei Jugendlichen in der Pubertät zum Ausbruch kommen. Auch Gingivahyperplasien kommen öfter bei Jugendlichen vor und können medikamentös bedingt sein (zum Beispiel durch Antiepileptika) oder genetisch (zum Beispiel hereditäre Gingivafibromatose).

Erfolgreiche Kommunikation mit jugendlichen Patienten

Ein gelungener Termin mit Jugendlichen beginnt mit Empathie und endet idealerweise mit Motivation.

Grundregeln für den respektvollen Umgang

  • Zuhören statt dozieren: Jugendliche ernst nehmen und einbeziehen
  • Respektvoller Umgang: Begegne jugendlichen Patientinnen und Patienten mit dem gleichen Respekt wie erwachsenen
  • Wertschätzende Kommunikation: Eine wertschätzende Kommunikation wird eher akzeptiert als autoritäre Anweisungen. Behandle den Teenager also schon wie einen Erwachsenen, da fühlt er sich auch mehr akzeptiert und wertgeschätzt

Motivation durch das Belohnungssystem

Jugendliche zu erreichen, erfordert Fingerspitzengefühl. Studien zeigen: Positive Verstärkung wirkt in diesem Alter besonders gut – denn das Belohnungssystem im Gehirn reagiert stark auf Anerkennung und Erfolgserlebnisse.

Das bedeutet, dass Lob und konkrete Anerkennung das Belohnungssystem des Teenagergehirns aktivieren. Beispiel: „Du hast wirklich gut mitgemacht!”. Natürlich sollte das Lob so ehrlich und authentisch wie möglich rübergebracht werden. Es wirkt eher negativ, wenn das Lob sich anhört, als wäre der Teenager ein Hund („Fein hast du das gemacht.”).

Aufklärung mit klaren Zielen

Eine deutliche Zielorientierung hilft Teenager, einen Sinn hinter zahnmedizinischen Maßnahmen zu erkennen. Je besser sie es verstehen, umso motivierter sind sie. Also investiere ausreichend Zeit in die Aufklärung, um zu checken, ob der Teenager alles versteht und das Ziel der Maßnahmen verstanden hat.

Allerdings ist folgendes wichtig im Hinterkopf zu behalten: Informationsverarbeitung erfolgt bei Teenagern oft emotional – belehrende oder negative Sprache wird schnell als Kritik empfunden und kann zur Ablehnung führen. Deswegen ist ein verständnisvoller, klarer und respektvoller Umgang essenziell.

Digitale Tools für die Jugendmotivation

Jugendliche sind digitalaffin. Digitale Hilfsmittel steigern nicht nur die Motivation, sondern ermöglichen auch eine individualisierte Ansprache und fördern die Selbstkontrolle.

Praktische digitale Lösungen für die Praxis

Du kannst in der Praxis einsetzen:

  • Mundpflege-Apps mit Gamification: Punkte sammeln, virtuelle Belohnungen
  • KI-gestützte Analyse: Künstliche Intelligenz kann visuelle Diagnosen verständlich machen (zum Beispiel plakativ dargestellte Plaquestellen)
  • Smart-Technologie: KI-basierte Analyse von Putzverhalten über smarte Zahnbürsten
  • Erinnerungsfunktionen via Smartphone: zum Beispiel für Zahnputzzeiten oder Kontrolltermine
  • Virtuelle Realität: zur angstfreien Simulation eines Zahnarztbesuchs

Peer-Education als Erfolgsfaktor

  • Peer-Education: Jugendliche lernen besser von Gleichaltrigen – zum Beispiel über Jugendbotschafterinnen und Jugendbotschafter in Schulen

Fazit: Verstehen ist der Schlüssel zum Erfolg
Die zahnmedizinische Betreuung von Teenagern verlangt interdisziplinäres Verständnis: Entwicklungspsychologie, Neurowissenschaften und innovative Kommunikationsformen können helfen, Jugendliche für die Prophylaxe zu begeistern. Wer ihr Gehirn versteht, spricht ihre Sprache – und legt so den Grundstein für gesunde Zähne bis ins Erwachsenenalter.

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